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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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der Krieg den Blutzoll einfordert – man muss dafür sorgen, dass sie sich aus Solidarität dem Ruf zu den Waffen verweigern.»
    Herr Brennwald sah nicht sonderlich überzeugt aus, doch seine Schwester wandte sich wieder Anna zu. «Das ist keine Utopie – genauso wenig wie eine Welt, in der Mann und Frau ohne Unterdrückung zusammenleben. Das glauben Sie doch auch, Anna?»
    Anna konnte sich beim besten Willen nicht zu dieser idealistischen Sichtweise bekennen. «Solange es Menschen gibt, wird es Ungerechtigkeit geben. Wir können nur auf eine Gesellschaft hoffen, in der Unterdrückung jeglicher Art nicht mehr als Normalfall, sondern als Verirrung gesehen wird, die nicht geduldet werden darf. Es wird sie aber trotzdem geben.»
    Fräulein Brennwald schüttelte ungläubig den Kopf. «Was sind Sie doch für ein pessimistisches Menschenkind.»
    Etwas hitziger als sie eigentlich beabsichtigt hatte, fügte Anna hinzu: «So ist das nun einmal. Ein Mann, der nicht auf seiner Überlegenheit beharrt, selbst wenn er sie nicht zu Unterdrückung und Herrschaft nutzt, ist selten – und er wird dafür von der Gesellschaft, auch von den Frauen, verachtet.»
    Fräulein Brennwald sah verstört aus. «Mein liebes Kind, das ist eine verheerende Einstellung beiden Geschlechtern gegenüber.»
    «Das mag schon sein, aber es ist meine Einstellung.» Anna konnte selbst hören, wie trotzig und kindisch ihre Worte klangen. Sie blickte wieder auf den See hinaus.
    Herr Brennwald räusperte sich und meinte, während er seine Pfeife ausklopfte: «Nun, das sind grosse und schwierige Fragen, und ich fürchte, es wird darauf so schnell keine einfache Antwort geben. Bis dahin wird jede und jeder halt versuchen müssen, für sich einen Weg zu finden.» Mit leicht warnendem Ton fügte er an Fräulein Brennwald gewandt hinzu: «Wir müssen mit den Antworten anderer nicht unbedingt einverstanden sein, sie mögen ihre Gründe haben, die wir nicht kennen.»
    Er erhob sich aus seinem Sessel und machte sich auf seinen abendlichen Rundgang im Appartement, danach kam er nochmals in den Salon, um Anna und seiner Schwester eine gute Nacht zu wünschen, und zog sich zurück.
    Als sie alleine waren, erhob sich Fräulein Brennwald vom Sofa und trat neben Anna ans Fenster. «Es tut mir leid. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten – aber es scheint mir für einen so jungen Menschen doch eine sehr düstere Sichtweise. Wissen Sie, ich habe mich damals zu meinem rastlosen Leben entschieden, weil ich gar nicht anders konnte. Der Ruf der Ferne war zu laut, und so habe ich mir Ehe- und Mutterglück versagt. Doch das war keine einfache Entscheidung. Aber Anna, wenn Sie sich auch so entscheiden, dann doch hoffentlich nur, weil es etwas gibt, das Sie ruft, und nicht etwa aus Bitterkeit. Welchen Wert hätte denn eine Freiheit ohne Ziel und Absicht, erkauft mit dem Opfer der uns allen innewohnenden Sehnsucht nach Zweisamkeit?»
    Darauf wusste Anna nichts zu antworten, Wäscheschränke und Arbeitslisten mochten ärgerliche kleine Stimmen haben, aber sie waren die einzigen, die sie riefen.
    Fräulein Brennwald meinte schliesslich leise: «Was ich sagen will, Anna, ist, dass es auch gute Männer gibt.»
    «Das mag schon sein, aber mit denen meint es zumeist die Welt nicht gut.»
    «Vielleicht, aber das trifft auch auf gute Frauen zu.» Fräulein Brennwald führte den Gedankengang nicht zu Ende, doch Anna sagte nichts dazu. Mit einem Seufzer setzte sich das Fräulein ans Klavier, um den Abend, wie sie es gerne tat, mit ein wenig Chopin ausklingen zu lassen.
    Anna trat ans Klavier und lauschte ihrem Spiel gedankenverloren. Sie schämte sich für ihren kurzen Gefühlsausbruch; sie hatte sich sonst besser unter Kontrolle. Aber es gab auch nur wenige Menschen, die jemals auf die Idee kämen, ihr solche Fragen zu stellen. Als die letzten Akkorde verklungen waren, entschuldigte sie sich für ihre heftigen Worte.
    Statt einer Antwort stand Fräulein Brennwald auf und strich Anna mit einer eigentümlich fürsorglichen Geste übers Haar. Dann sagte sie unvermittelt: «Es ist nicht einfach, alleine zu leben. Und lassen Sie sich von meinem Beispiel nicht täuschen. Ich hatte immer jemanden, zu dem ich zurückkehren konnte.» Sie beugte sich vor und küsste Anna auf die Stirn. «Gute Nacht, mein Kind.»
    In ihrem Zimmer blickte Anna noch lange aus dem Fenster. Der Herbststurm hatte sich gelegt, ein Konzert in der Tonhalle war eben zu Ende gegangen, leises Lachen und gedämpfte Stimmen,

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