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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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erneut in die Kleine Suite einzubrechen. Das ergab doch überhaupt keinen Sinn, die Räume waren während der Zwischensaison mehrere Wochen lang leer und so gut wie unbewacht gewesen. Damals wäre es viel einfacher gewesen, die Räume zu durchsuchen.
    Anna ging in ihre Kammer, um sich ordentlich anzukleiden. Sie verrichtete ihre Morgentoilette und räumte das Zimmer auf, doch immer wieder wanderte ihr Blick zu dem Teller mit dem Kuchenstück auf der Waschkommode. Gerade als sie dabei war, den Bettüberwurf glatt zu streichen, klopfte es an der Tür. Es war Henning, der etwas ausser Atem schien.
    «Giovanni ist fort, sein Bett ist nicht angerührt worden und seinen Zimmergenossen habe ich beinahe nicht wach gekriegt. Sieht so aus, als ob der gute Zuckerbäcker wenigstens eines seiner Kunstwerke an den Mann gebracht hat. Die Etagenkellner habe ich auch gleich noch aus dem Bett geholt. Mit anderen Worten, ich habe mich heute bereits bei etlichen Leuten sehr beliebt gemacht. Wie auch immer, Peter hatte gestern in der Kleinen Suite Dienst. Giovanni sagte ihm, er solle den Kuchen im Zimmer des Lieutenants lassen. Das sei nämlich eine englische Weihnachtstradition, deshalb auch die Abweichung von der Speisekarte.»
    «Was für eine verrückte Geschichte. Das ist doch kein Plumpudding, und auch der wird erst am 25. serviert.» Anna griff nach dem Teller mit dem Kuchenstück.
    «Der gute Peter ist nun mal nicht mit besonders viel Verstand gesegnet. Deshalb kann man ihm so eine Fabel auftischen.» Henning fuhr sich durch die eh schon arg zerzausten Haare. «Was nun?»
    «Wenn ich das wüsste», meinte Anna und schloss die Tür zu ihrer Kammer ab. «Ich versuche noch mal, mit dem Patron zu sprechen. Er mag zwar nichts von einem Einbruch hören, aber das sind doch Beweise, die man nicht einfach ignorieren kann. Sie gehen besser zu Bett, Henning. Es ist nicht nötig, dass er auf uns beide wütend wird.»
    «Mich deucht, dabei sollten Sie etwas Unterstützung haben. Wir beide wissen doch, dass unser verehrter Patron der Gruppe der Choleriker angehört. Ich komme mit und stehe Ihnen zur Seite.»
    Anna legte ihm sachte eine Hand auf die Brust. «Ganz bestimmt nicht. Wahrscheinlich wird der Patron es nicht mögen, dass ich diese Sache nicht ruhen lassen will. Es reicht, wenn er auf einen von uns beiden nicht gut zu sprechen ist.»
    «Sind Sie ganz sicher? Geteiltes Leid ist halbes Leid.»
    Als Anna nur den Kopf schüttelte, gab er nach. «Also gut, aber ich gehe jetzt bestimmt nicht zu Bett. Die Bar ist noch nicht fertig aufgeräumt. Lassen Sie mich wenigstens das Corpus Delicti tragen.»
    Damit nahm er ihr den Teller ab, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg nach unten. Das Vestibül war menschenleer, noch war keiner der eifrigen Geister wach, die hier schon bald Blumen wässern, Teppiche bürsten und Polster ausschütteln würden. Henning überreichte Anna den Kuchen mit einer feierlichen Verbeugung und verschwand in sein Reich.
    Hinter dem mit den Lilien geschmückten Glaspaneel der Tür zum Direktions-Bureau war Murmeln zu vernehmen, anscheinend hielt der Direktor Kriegsrat. Wahrscheinlich war es klüger, nicht zu stören – Anna wartete, bis Herr Ganz und Herr Neumeyer, der inzwischen auch aus den Federn geholt worden war, das Bureau verliessen. Danach klopfte sie und trat ein.
    Der Direktor sass, immer noch in seinen burgunderfarbenen Schlafrock gehüllt, hinter dem Schreibtisch. Weder Croissants noch Kaffee hatten bisher den Weg ins Direktions-Bureau gefunden. Er machte bei Annas Anblick eine missmutige Handbewegung.
    «Um Himmels willen, Fräulein Staufer, warum tragen Sie diesen Kuchen noch immer durch das Hotel? Wie sieht das denn aus.»
    Anna stellte den Teller vor ihn hin. «Es tut mir leid, Herr Bircher. Aber ich denke, wir sollten über diese Sache nochmals sprechen. Wie es scheint, hat man dieses Kuchenstück mit Laudanum getränkt, damit Lieutenant Wyndham nicht hört, wie seine Räume durchsucht werden. Doch er mag keinen Mohn und hat nichts davon angerührt. Deshalb konnte er den Einbrecher überraschen.»
    Der Patron starrte sie an, als hätte sie den Verstand verloren. «Wollen Sie jetzt wieder mit so einer Räuberpistole kommen wie im Sommer mit der Frau Baronin von Helmdorf?»
    «Giovanni, der diesen Kuchen gestern gebacken hat, ist inzwischen verschwunden. Finden Sie das nicht auch seltsam?»
    «Und nun unterstützen Sie Lieutenant Wyndham noch in seinen Hirngespinsten. Es kommt immer wieder vor, dass

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