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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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eine andere Frisur brauchen.»
    Lady Georgiana liess sich in Annas alte Sachen stecken und band sich sogar die Schürze selbst um. Paget frisierte ihr die Haare in einen höchst unvorteilhaften, strengen Dutt, der wie eine Zwiebel auf ihrem Scheitel thronte und ausgesprochen unbeholfen wirkte. Es war nicht einfach, Lady Georgiana unscheinbar erscheinen zu lassen, aber Paget hatte ihr Bestes getan.
    Nachdem Lady Georgiana unaufgefordert allen Schmuck abgelegt hatte, betrachtete sie sich neugierig im Spiegel. «Du liebe Zeit», entfuhr es ihr. «Wird das so gehen?»
    Anna nickte zustimmend. Die Verwandlung war beeindruckend, wenngleich sie Lady Georgianas Eifer störte. «Mylady sollten daran denken, hinter mir zu bleiben, den Blick zu senken und möglichst nicht zu reden.»
    Paget hatte sich inzwischen unaufgefordert an die Tür gestellt, um zu sehen, ob niemand im Gang war. Im geeigneten Moment ließ sie Anna und Lady Georgiana hinaus.
    Anna ging zielstrebig zur Hintertreppe. Die Zimmer der Gräfin lagen einen Stock tiefer. Ganz Gouvernante mit einer eingeschüchtert wirkenden Lingère im Schlepptau marschierte sie darauf zu und öffnete die Tür mit ihrem Passepartout.
    Gräfin Tarnowskas Parfum beherrschte den Raum. Die schwülstige Mischung aus Herb und Süss beschwor Bilder des grausigen Funds auf dem Dachboden. Anna hätte nur allzu gern ein Fenster aufgerissen.
    Lady Georgiana blickte sich im Zimmer um. «Du liebe Zeit. Ich möchte nicht wissen, was Paget dazu sagen würde.»
    Die Zofe der Gräfin war eine ältere, tatsächlich von der Gicht gebeugte Frau, von der man nicht erwarten konnte, mit einer solchen Unordnung fertigzuwerden. Sie trug stets ein schwarzes Kopftuch und sprach nur Russisch und einige Brocken Französisch. Im Personal-Speisesaal fiel sie durch ihre langen, inbrünstigen Tischgebete auf. Anna vermutete, dass die Gräfin ihrem alten Kindermädchen das Gnadenbrot gewährte, und der Gedanke stimmte sie gegenüber der Dame etwas milder.
    Lady Georgiana trat an den Frisiertisch und griff nach einem wie eine Medizinflasche geformten Flakon. «Jicky – dacht ich’s mir doch.» Sie hob den Stöpsel kurz zum Schnuppern an, rümpfte die Nase und stellte den Flakon zurück. «Das ist eigentlich ein Duft für die Herren, aber seit einiger Zeit ist er sehr beliebt bei Damen, die sich und der Welt etwas beweisen wollen.»
    Dann begann sie, mit mehr Geschick, als Anna ihr zugetraut hätte, den Raum zu durchsuchen, und beschäftigte sich vor allem mit der Garderobe der Gräfin. Dabei gab sie des Öfteren leise, missbilligende Geräusche von sich.
    Auf Annas fragenden Blick hin meinte sie: «Die Kleider sind alles Kopien von Poirets letzter Winterkollektion. Ihre Dessous sind zwar teuer, wurden aber schon mehrmals ausgebessert. Sie will mit einer Garderobe beeindrucken, für die sie eigentlich nicht das Geld hat. Die Frau ist eher Hochstaplerin als Agentin. Aber ich weiss nicht, wie uns das weiterhelfen soll. Haben Sie vielleicht etwas gefunden, das von Interesse ist?»
    «Ich denke schon.» Anna hielt eine Fotografie und ein Bündel Briefe hoch, die sie hinter dem Spiegel des Frisiertisches hervorgezogen hatte; die Jahre als Zimmermädchen hatten sie einiges gelehrt. Das Bild zeigte ein Mädchen, fast schon ein Backfisch. Die Briefe kamen alle aus einer französischen Töchterschule, und sie waren an verschiedene Damen mit adligen Titeln in Hotels auf dem ganzen Kontinent adressiert, begannen aber immer mit «Chère Maman» .
    Lady Georgiana schüttelte den Kopf. «Das sieht mir alles danach aus, als ob die Dame zwar viel zu verbergen hat, aber nicht in dem Metier tätig ist, das uns interessiert.»
    Von der Tür her war das Geräusch eines Schlüssels zu vernehmen, der sich vergeblich im Schloss drehte. Anna wollte nach den Briefen greifen, um sie zu verstecken, aber es war zu spät. Die Gräfin stand bereits in der offenen Zimmertür, in der einen Hand ihren Zimmerschlüssel, in der anderen einen Muff haltend. Sie trug ein Winterkostüm mit Pelzkragen und eine dazu passende pelzverbrämte Kappe. Vereinzelte Schneeflocken glitzerten auf den Pelzbesätzen. Offensichtlich kehrte sie verspätet von einem Ausflug zurück.
    «Was geht denn hier vor sich?» Sie warf den Muff auf das Bett. Als sie sah, was Lady Georgiana in der Hand hielt, durchquerte sie den Raum in wenigen Schritten und herrschte sie an: «Du dummes Ding, gib das sofort her!»
    Aber sie hatte es nicht mit einem eingeschüchterten

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