Chili und Schokolade
«Nur-Hausfrauen-Dasein» im Stillen für beendet. Es muss noch etwas anderes geben, als Konrads Hausgeist zu sein! Entschlossen knülle ich den Einkaufszettel zusammen (in Zukunft werde ich
freihändig
im Supermarkt einkaufen) und beginne stattdessen auf einem neuen Blatt meine Fähigkeiten aufzulisten.
1. Organisationstalent
2. 10-Finger-System
Mmh, den letzten Punkt streiche ich besser wieder. Schnelles Tippen interessiert heutzutage ja offensichtlich niemanden mehr. Und wenn ich an das peinliche Erlebnis in der Marketingfirma denke, gehört schnelle Auffassungsgabe wohl auch nicht zu meinen Stärken. Frau Daiser würde mich vielleicht sogar als «unvermittelbar» einstufen.
Aber ich lasse mich nicht entmutigen. Auch am Samstagmorgen blättere ich wieder im Anzeigenteil der Wochenendzeitung. Konrad ist beim Joggen, er wird mich also nicht stören.
Im redaktionellen Teil des «Stellenmarkts» finde ich einen Artikel, aus dem ich erfahre, dass es in vierzig Prozent aller Betriebe keinen einzigen Mitarbeiter über Fünfzig gibt! Na, das sind ja motivierende Aussichten.
Nach der Lektüre und den Erfahrungen der vergangenen Woche sollte ich mich daher vielleicht nur auf Aushilfs- oder Nebenjobs konzentrieren, für die keine besonderen Qualifikationen verlangt werden. Eine gute Stunde lang studiere ich gründlich jedes einzelne Angebot. Aber außer der Anzeige eines exklusiven Seniorenstifts, das halbtags eine Aushilfsköchin sucht, kommt absolut nichts in Frage.
Das Seniorenstift bittet um telefonische Bewerbung. Nach kurzem Zögern wähle ich entschlossen die Telefonnummer. Es meldet sich ein Herr Keller, der sich als Leiter des Seniorenstifts entpuppt. Wie befürchtet, stellt auch er mir sofort die Frage nach meinen bisherigen Tätigkeiten.
«Nun … ich bin Hausfrau, aber ich kann Ihnen versichern, dass meine Kochkenntnisse ohne Übertreibung außergewöhnlich gut sind, Herr Keller», antworte ich so selbstsicher wie möglich. «Und ich bin durchaus in der Lage, für mehr als vier Leute zu kochen!»
«Verstehe», antwortet er verhalten, bevor er mir erklärt: «Die Anzeige war allerdings etwas unglücklich formuliert. Genau genommen, suchen wir keine Aushilfsköchin, sondern tatkräftige Unterstützung für die Chefköchin. Eine unserer bisherigen Kräfte geht nämlich in den Mutterschutz.»
«Aha», antworte ich. Ob Unterstützung Kartoffelschälen, Salatwaschen und Herdputzen bedeutet? Na, aber auch darin bin ich ein Profi …
«Und darf ich noch nach Ihrem Alter fragen, Frau Meyer? Bitte verstehen Sie das nicht als Diskriminierung, aber wir sind eine private Einrichtung, und noch eine Schwangerschaft können wir uns nicht leisten, deshalb bevorzugen wir ältere Bewerber.»
«Oh! Also, ich bin neunundvierzig», antworte ich und überlege, ob ich noch hinzufügen sollte, dass bei mir nicht nur aus biologischen Gründen eine Schwangerschaft so gut wie ausgeschlossen ist.
«Prima», meint der Heimleiter erleichtert. «Könnten Sie sich am nächsten Freitag hier vorstellen? Vorher geht es bei mir leider nicht.»
Erfreut sage ich zu, notiere mir die Adresse und stelle aufatmend fest, dass der kommende Freitag kein Dreizehnter ist. Ein gutes Omen.
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4
Das Seniorenstift liegt im vornehmen Stadtteil Lehel, direkt an der feudalen Widenmayerstraße, die an der Isar entlang führt. Zur vereinbarten Zeit bin ich am Freitag pünktlich dort. Das fünfstöckige Altbauanwesen mit der hellgelben opulenten Stuckfassade wirkt in der goldenen Oktobersonne freundlich und einladend. Eine mächtige Eingangstür aus dunklem Holz und die blank polierten Messingbeschläge verstärken den gediegenen Eindruck. Vermutlich besteht die Verpflegung hier nicht aus gewöhnlichem Kantinenessen.
Im Erdgeschoss werde ich von einem Portier in moosgrüner Stehkragen-Uniform empfangen. Auf seiner Mütze prangt in goldenen Lettern
Concierge
, und wie in einem Hotel hat man ihn hinter einem Tresen postiert.
«Einen wunderschönen guten Tag, die Dame.» Der grauhaarige Mann begrüßt mich, als sei ich ein ankommender Hotelgast.
«Guten Tag, ich möchte zu Herrn Keller. Er erwartet mich», melde ich mich an.
«Der Stiftleiter sitzt im obersten Stock, fünfte Tür rechts. Sein Name steht an der Tür», gibt er lächelnd Auskunft. «Sie können den Aufzug dort nehmen.» Mit einer Handbewegung weist er die Richtung an und ruft einer Frau am Lift zu: «Warte einen Moment, Ulla, hier will noch jemand nach
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