Chili und Schokolade
geistige Abwesenheit. «Tut mir leid, ich war gerade in Gedanken.»
«Das passiert mir auch oft.» Verständnisvoll lächelt er mich an. «Du wolltest mir noch sagen, wie viele Rezepte wir ins Buch nehmen.»
«Ja, also fünfundzwanzig stehen bereits, den Rest überarbeite ich gerade», verkünde ich selbstbewusst. Seltsam, sobald es ums Kochen geht, werde ich ruhig. «Ich muss noch die Erläuterungen zur Wirkung der einzelnen Zutaten hinzufügen. Meinen Einleitungstext und die Rezepte habe ich aber schon mal ausgedruckt mitgebracht.» Gelassen greife ich nach der Mappe mit den Ausdrucken, die in meiner Handtasche stecken.
Bertram nimmt beides mit einem «Dankeschön» entgegen, schlägt die Unterlagen auf und beginnt sofort zu lesen.
Während ich voller Spannung auf sein Urteil warte, knabbert Ulla an einem Stück Schokolade und rutscht zappelig auf ihrem Stuhl herum.
«Na, sag schon: Wie findest du es, Onkelchen?», drängt sie nach einigen Minuten ungeduldig.
«Sehr gut! Soweit ich es in der Kürze beurteilen kann. Nachher werde ich es mir genauer durchlesen.»
Kurz darauf verabschieden wir uns. Ulla hat eine Verabredung mit Henry, und ich gebe vor, nach Hause zu müssen. In Bertrams Gegenwart bringe ich sowieso keinen klaren Gedanken zustande. Aber Eves Text scheint immerhin glaubwürdig zu sein. Evelyn Meyer ist erleichtert.
«Vielen Dank für euren Besuch», verabschiedet sich Bertram. «Es liegt zwar noch viel Arbeit vor uns, aber mein Gefühl sagt mir, dass es ein ganz außergewöhnliches Buch werden wird.» Er blickt mir tief in die Augen und drückt meine Hand. «Du kannst mich natürlich jederzeit anrufen, falls irgendwelche Fragen auftauchen, Eve.»
Sein Blick lässt mich sofort erröten. «Ja … äh … danke. Und bis bald», stottere ich unbeholfen.
«Tja, und wegen des Vertrags …», fügt Bertram noch an.
Ich sende Ulla einen hilfesuchenden Blick. Sie versteht sofort. Ich hatte ihr erklärt, dass ich vor der Unterschrift unbedingt diesen Dr. Lent sprechen möchte.
«Ach ja, Onkelchen, den Vertrag wollten wir einem Anwalt zur Prüfung geben. Ist das für dich in Ordnung?»
«Selbstverständlich, das ist durchaus üblich», erklärt Bertram leichthin. «Schafft ihr es denn noch vor dem Fototermin?»
«Logo», behauptet Ulla und küsst ihn zum Abschied schmatzend auf die Wange.
«Danke, Ulla, das war lieb von dir», schnaufe ich erleichtert, als wir auf der Straße stehen. «Darf ich dich dafür zu deinem Henry fahren?»
«Nur zu gerne, meine Füße schmerzen wie nach einem Marathonlauf, aber ich muss erst nach Hause, mich umziehen. Ich mag Henry nicht in diesem Business-Look treffen», erwidert sie und nimmt meinen Arm. «Du warst übrigens große Klasse heute. Onkel Bertram ist ja regelrecht verzaubert von dir.» Ihre veilchenblauen Augen leuchten, als habe sie soeben das schnulzigste Happy End des Jahres miterlebt.
Überrascht bleibe ich stehen. «Meinst du?»
Sie versetzt mir einen freundschaftlichen Stoß. «Du Unschuld vom Lande, du weißt genau, was ich meine: Mein Onkel steht auf dich, er findet dich toll, er ist … Ach, ist das romantisch!»
«Also ich kann das nicht glauben. Einem so attraktiven Mann müssen die Frauen doch die Tür eintreten. Hat er keine Freundin?» Verheiratet ist er jedenfalls nicht, sonst hätte er wohl einen Ring am Finger, murmle ich vor mich hin.
«Nein, der hat sich noch nicht einfangen lassen», erwidert sie und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: «Und falls er eine feste Freundin hat, würde er sie deinetwegen bestimmt sofort verlassen.»
«Mon dieu! Das würde ich niemals wollen», erkläre ich nachdrücklich. «Keine Frau soll meinetwegen verlassen werden. Dieses Gefühl ist einfach zu grässlich.»
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19
Die nächsten Wochen sind mit Arbeit gefüllt. Arbeit, die Spaß macht und obendrein lecker schmeckt. Wenn Ulla nicht zu irgendeinem Dolmetscher-Job muss, sitzen wir jetzt täglich zusammen, probieren die verschiedensten Rezepte aus und lassen uns das Ergebnis schmecken.
Konrad benimmt sich dermaßen untadelig, dass es schon verdächtig ist: Er meldet sich zweimal täglich aus dem Büro, erkundigt sich, wie es mir geht, erscheint jeden Abend überpünktlich zum Essen, und am letzten Wochenende wollte er sogar etwas mit mir unternehmen! Ich musste Gartenarbeit vortäuschen, die unbedingt noch vor dem ersten Schneefall erledigt werden sollte. Nicht mal die Abrechnung der Kreditkartenfirma brachte ihn aus der
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