Chill mal, Frau Freitag
Noble.
Jedenfalls habe ich alles vorbereitet. Tafelanschrieb, Aufgabenstellung, Listen und so weiter. Man will ja in der ersten Stunde nicht mit dem Rücken zur Gruppe stehen und ihnen die Möglichkeit geben, einem auf den Arsch zu stieren oder Grimassen zu schneiden.
Die Mädchen hören ruhig zu, was ich zu sagen habe. Ich denke schon: Super, läuft ja wie am Schnürchen, das wird ab jetzt meine Wohlfühllieblingsstunde, als plötzlich eine mir unbekannte Schülerin anfängt, Faxen zu machen. Eigentlich macht sie nichts Schlimmes, aber sie ist eben nicht so ruhig wie die anderen, und das fällt auf. Dauernd holt sie Kram aus ihrer Tasche, reicht den rum und versucht so, andere Schülerinnen in ihr Stören mit einzubeziehen.
Vier Mädchen sind aus meiner Klasse. Laute, störende Schülerinnen, mit denen es immer wieder Ärger gibt. Richtig kleine Diven sind das. Jede ihr eigener kleiner Superstar. Immer bedacht auf den großen Auftritt. Aber jetzt sind sie ruhig. Hören mir zu. Quatschen nicht, hören noch nicht mal Musik. Nur diese eine Schülerin krepelt weiter vor sich hin. Ich überlege, was ich machen soll. Ganz offensichtlich versucht sie auszu testen, wie weit sie bei mir gehen kann.
Ich will gerade was sagen, da dreht sich plötzlich Mariam aus meiner Klasse zu ihr um und schreit: »Jetzt halt endlich deine Klappe! Sei leise!«
Dann dreht sich auch Sabrina um: »Jetzt benimm dich! Das ist meine Klassenlehrerin!«
Die störende Schülerin sagt irgendwas, das ich nicht verstehe. Mariam schreit sie daraufhin an: »Rede nicht so über sie! Nur weil sie nette Lehrerin ist, denkst du, du kannst dich hier so benehmen?«
Plötzlich schreien alle Mädchen aus meiner Klasse auf sie ein. Ich stehe da und sehe mir dieses Schauspiel an. So doll hatte die gar nicht gestört. Jedenfalls hat es mich gar nicht so sehr tangiert. Aber die Mädchen stürzen sich wie Bestien auf sie und schreien und schreien. Ich flüstere ruhig ihre Namen, damit sie sich wieder beruhigen, und sehe zu, dass wir mit der Arbeit beginnen.
Die restlichen vierzig Minuten wird in absoluter Ruhe herrlich konzentriert gearbeitet.
Am Ende gibt es sogar von einer Schülerin den Ritterschlag: » Tschüch , is schon vorbei? Ging voll schnell.«
Ich werde die Mädchen mal fragen, ob sie nicht nächstes Schuljahr in alle meine neuen Gruppen mitkommen möchten. Vielleicht schaffen die es sogar, die ständige Beschäftigung mit unterrichtsfernen Dingen einzudämmen. Wie zum Beispiel …
Außen hui
Schminke. Schminke ist fast so wichtig wie Handy. Für mich war Schminke immer der Inbegriff von »Nichts im Hirn«. Eine Jugend zu verleben, in der man sich gar nicht und nie geschminkt hat, heißt aber auch, dass man als Erwachsener nicht weiß, wie das geht.
Selbst wenn ich wollte, wüsste ich überhaupt nicht, wie ich mich durch Kosmetik verschönern könnte. Oft habe ich es bereut, dass ich mich auf das Abitur und nicht aufs Schminken konzentriert habe. Nun habe ich zwar einen Job, sehe aber immer bleich, pickelig oder müde aus. Da ließe sich bestimmt was hinbiegen, so augenschattentechnisch oder Smokey-Eyesmäßig.
Meine Schülerinnen sind da schlauer. Bewusst interessieren sie sich nicht für irgendeinen schnöden Schulabschluss, sondern perfektionieren ihr Können im Bereich »Besser aussehen, als man aussieht«. Und da sich viele muslimische Mädchen nicht schminken dürfen oder es zumindest nicht gerne gesehen wird, wenn sie ihre Gesichter herausputzen, als gingen sie in irgendein Etablissement, wird sich einfach in der Schule aufgebrezelt. Dazu sind die ersten beiden Stunden in den Augen der Mädchen auch da. Schließlich muss der Lidstrich bis zur ersten Hofpause sitzen.
Bevor jemand fragt: Nein, Schminken im Unterricht ist an meiner Schule nicht erlaubt. Und wenn ich es schaffe, dann nehme ich den Schülerinnen ihre Utensilien auch ab. Ich habe bereits eine ansehnliche Sammlung billigster Kosmetikartikel. Aber das Schminken hört trotzdem nicht auf. Ich frage mich oft, ob das Make-up, das Mariam benutzt, wirklich orangefarben ist und sie es sich bewusst kauft und draufschmiert, um auszusehen wie ein Kürbis. Die meisten Mädchen sehen aus wie Zirkuspferde. Nur manche beherrschen die Kunst des Minimalismus, des »Weniger ist mehr«. Dabei steht »Weniger ist mehr« bei allem, was die Schule betrifft, sonst sehr hoch im Kurs.
Kürzlich besuchten wir unterschiedliche Ausbildungswerkstätten, und bei den Friseuren lag überall Schminke rum.
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