Chill mal, Frau Freitag
gut Deutsch sprechen?«
»Ja, ist schon ganz gut. Ich spreche mit ihr immer zu Hause und dann übt sie.« Ferhats Eltern kommen aus dem Libanon. Beide Eltern arbeiten, er spricht sehr gut Deutsch und ein Kopftuch trägt er auch nicht – vielleicht ist er ja die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Und sein Vater ist Elektriker, nicht mal Gemüsehändler.
In der nächsten Stunde versuche ich es wieder: »Hat eigentlich jemand von euch die Diskussion um Sarrazin mitbekommen?«
»Sarrazin?«
»Ja, Thilo Sarrazin. Weiß jemand, wer das ist?«
»Sarrazin, ich weiß!«, meldet sich Yusuf. »Sarrazin ist doch so eine Säure.«
Ich schüttele den Kopf und versuche ihnen zu erklären, wer Sarrazin ist, aber meine Bemühungen gehen in einem allgemeinem Gebrabbel unter, bis Ines sagt: »Frau Freitag, geben Sie’s auf, Ihnen hört jetzt keiner mehr zu.«
In der letzten Stunde unterrichte ich ältere Schüler und frage in eine herrliche Stille hinein: »Sagt euch der Name Sarrazin etwas?«
»Ja!«, ruft Lucy. »Da geht es um Integration.« Sie wendet sich an ihre Mitschüler: »Das sollte euch interessieren.« Jetzt sind alle ganz Ohr und lassen sich die groben Details von ihr erklären. Auch Baris hat schon davon gehört, und alle Schüler scheinen sich bereits eine Meinung über die Integration bzw. Nichtintegration gebildet zu haben. Ich frage, was sie von dem Vorschlag halten, den Eltern das Kindergeld zu kürzen, wenn ihre Kinder nicht in die Schule gehen. Zustimmung von allen. »Ja, das würde was ändern. Die Eltern werden dann voll sauer und dann kriegen die Kinder Stress.«
Ich frage, ob man auch Geld streichen sollte, wenn jemand nicht Deutsch lernen will. Alle sind sich einig, dass man Deutsch beherrschen muss, wenn man in Deutschland leben will. Allerdings sagt Baris, man solle eher Anreize schaffen, als Geld abzuziehen. Salina sagt: »Mehr fördern, nicht immer nur fordern. Aber ist doch auch kein Wunder, dass die türkischen Frauen hier kein Deutsch lernen, das brauchen die ja gar nicht, hier ist doch eh alles auf Türkisch. Die sprechen ja jeden hier in der Gegend auf Türkisch an.«
Baris: »Ich gehe neulich mit meinem Freund in eine Dönerbude, und da fragt der Verkäufer ihn auf Türkisch, was er essen möchte. Dabei war mein Freund blond und konnte auch gar kein Türkisch.«
So quatschen wir uns von der Ghettoisierung über den beidseitigen Irrglauben der ersten Gastarbeiter-Generation – »Alle dachten, die arbeiten hier nur und gehen dann wieder nach Hause …« – bis hin zur traurigen Tatsache:«Die Schüler sehen halt in der 8. und 9. Klasse noch nicht, dass sie was lernen müssen, damit sie später einen guten Beruf bekommen, die wollen halt jetzt Fun haben.« Lucy sagt, dass man es mit einem ausländischen Namen später schwer hat, einen Job zu bekommen. Ich gebe zu bedenken, dass in vielen Bereichen gerade Menschen mit Fremdsprachenkenntnissen besonders gefragt seien. Baris sagt, man müsste mehr Lehrer mit Migrationshintergrund haben. Genau meine Meinung. Ich frage ihn sofort, ob er nicht Lehrer werden möchte. Möchte er leider nicht. Aber genau diese Kinder bräuchten wir. In den Schulen, als Lehrer, im Jugendamt, im Jobcenter, in den Ausbildungsbetrieben – überall.
»Baris, warum willst du nicht Lehrer werden? Guck mal, die ganzen Ferien. Lehrer ist echt ein toller Beruf. Ist easy und macht Spaß.« Da lachen die Schüler und zeigen mir einen Vogel. »Lehrer? Niemals!« Und sie wissen ja am besten, wovon sie sprechen.
Frau Freitag und ihre vier Bodyguards
Eine neue Gruppe, mitten im Schuljahr. Neues Glück, aber auch Gefahr: Werden sie leise und nett sein? Was ist, wenn sie voll stören und nicht machen, was ich sage? Was ist, wenn sie mich ständig mit ihrem alten Lehrer vergleichen? Das hört man ja besonders gerne: »Bei Herrn Meiermüller-Schmidt war es viel besser wie bei Ihnen. Wir wollen wieder Herr Meiermüller-Schmidt haben. Nicht bei Sie.« Wie kann ich Autorität vortäuschen? Diese berühmte natürliche Autorität könnte jetzt auch ruhig mal kommen.
Die Stunde beginnt. Die Schülerinnen trudeln ein. Nur Mädchen – ist das jetzt gut oder schlecht? Sind nicht viele, aber genug. So etwas wie zu wenig Schüler gibt es eigentlich gar nicht, oder Frau Dienstag? Die Frage ist eher, ab wie vielen Schülern in einer Lerngruppe man sich als richtiger Lehrer fühlt. Bei fünf Schülern und einer Lehrerdoppelspitze käme ich mir vor wie im Erziehungscamp von Frau
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