Chill mal, Frau Freitag
Erzieherin.« Ich kann es nicht glauben und gehe.
Kann sich jemand vorstellen, dass Jurastudenten im Krankenhaus arbeiten? Denkmalschützer in Restaurants kochen? Mathematiker Flugzeuge fliegen? Und weshalb darf jeder Krethi und Plethi Vertretungsunterricht an unseren Schulen machen?
Da tummeln sich Studenten, Architekten und alle möglichen anderen Leute zwischen den Lehrern.
»Ach, Sie waren schon mal verreist, dann können Sie doch sicher den Erdkundeunterricht der 8. Klassen übernehmen. Sie haben einen Hund? Machen Sie doch bitte auch Bio.«
Warum darf eigentlich jeder unterrichten? Ist die Kunst des Unterrichtens so easy zu erlernen, dass man sie sich übers Wochenende aneignen kann? Und die zensieren dann meine Schüler, die wiederum bekommen schlechte Zensuren und bleiben sitzen. Oder sie bekommen schlechten Unterricht und lernen nichts. Vielleicht bekommen sie ja auch guten Unterricht, aber die Chancen, dass jemand, der nie ein Didaktik seminar besucht hat, ein Naturtalent in der Unterrichtsgestaltung ist, sind doch eher gering. Ich finde, die Schüler und auch wir Lehrer haben das nicht verdient. In den Schulen sollten nur ausgebildete Lehrkräfte arbeiten. Die Schule sollte kein Tummelplatz für Studenten und Lebenskünstler werden, die woanders nichts finden.
Impressionen eines Montags
»Frau Freitag, wie lange wollen Sie hier eigentlich noch arbeiten?«
»Bis ich sterbe, warum?«
»Na, wird das denn nicht langweilig? Ist doch immer das selbe hier.«
»Aber Mariam, in den meisten Jobs macht man jeden Tag dasselbe. Was willst du denn später mal machen?«
»Zahnarzthelferin.«
»Na, da hast du doch auch nicht gerade viel Abwechslung.«
»Doch. Andere Zähne.«
Dschingis ist neu. Er ist ziemlich klein und ziemlich süß. Dschingis fällt mitten in meiner Einführung vom Stuhl. Grundlos. Er hatte noch nicht einmal gekippelt. Dann springt er auf und tanzt durch die Klasse, stümperhaft beatboxend. Während er tanzt, gibt er Cihat einen Nackenklatscher und reißt Cindys Federtasche vom Tisch. Ich stehe vorne, es ist meine achte Stunde und ich kann nicht mehr: »Dschiiingis! Raaauuus.«
»Neiiin. Bitte, letzte Chance!«
»Nix letzte Chance, ich kann nicht mehr! Ich kann dich nicht mehr ertragen!«
Irgendwann hole ich ihn wieder rein. Er schmiert irgendwelchen Scheiß auf sein Blatt – nichts, was auch nur annähernd mit der Aufgabe zu tun hätte. Es klingelt. Ich nehme seinen Rucksack und stelle ihn neben meinen Schreibtisch. »Stühle hoch und tschüß und schöne Ferien. Dschingis, du bleibst noch hier.«
Er windet sich jammernd, Hundeblick, er setzt an: »Letzte …« Ich halte ihm seinen Rucksack unter die Nase: »Hausaufgabenheft!«
Er gibt mir sein Heft, ich kliere irgendwas über sein schlechtes Verhalten rein und zwinge mich zu einem pädagogischen Tonfall: »Dschingis. Hast du eigentlich ADHS?«
»Warum fragen das alle? Nein, hab ich nicht. Ehrlich!«
»WAS? Du hast noch nicht mal ADHS? UND WARUM BENIMMST DU DICH DANN SO? Jetzt werde ich ja echt gleich sauer. Mit ADHS könnte ich ja noch umgehen. Aber so!?«
»Frau Freitag, ich verspreche Ihnen, nach den Ferien lernen Sie einen neuen Dschingis kennen, ich schwöre.«
Sein Wort in Allahs Ohren. Dschingis ändert sich laufend vor und zurück – mehrmals in einer Stunde. Zur Sicherheit werde ich mir ein wenig Ritalin besorgen und ihm mal ’ne Cola spendieren.
Was so alles an einem Tag passieren kann …
Ich habe Dschingis, aber Frau Dienstag hat es auch nicht leicht. Frau Dienstag hat sich vorgestern an einem Schüler verletzt. Fräulein Krise hatte gestern eine Schlägerei, mit Polizei und so. Ich hatte heute schon eine schriftliche Aufgabe in der 10. Klasse mit vielen falschen Artikeln – oder sagt man heute schon »das Mittelpunkt«? Außerdem hatte ich miese Mädchenkeilerei auf dem Hof wegen:«Sie hat Schlampe gesagt …« – »Sie soll mal aufpassen, wie sie mit mir redet, und wer denkt sie, wer sie ist …« War alles mit Mädchen aus meiner Klasse, aber ich habe mich mal zurückgehalten, weil so was immer nur in Arbeit ausartet. Die Informationen habe ich mir dann später heimlich bei Schülern aus anderen Klassen geholt. Meine Mädchen habe ich gefragt: »Und, ist alles geklärt?«
» Abó , Frau Freitag, da ist gar nichts geklärt. Gar nichts! Dieses Mädchen wird noch so Schläge bekommen, ich schwöre.« Ich sitze diesen Konflikt kohlmäßig aus. Mal sehen, ob der noch so heiß ist, wenn die Ferien vorbei
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