Chill mal, Frau Freitag
sind nicht kompatibel. Vorsorglich hatte ich mir schon Putzzeug besorgt, um am Ende der Doppelstunde einen Phasenwechsel einzubauen. Ein guter Lehrer baut viele Phasenwechsel in seinen Unterricht ein. Also erst was Mündliches, dann was Schriftliches und so weiter. Eine gute Stunde hat auch immer ein Lernziel. Lernziel heute: Tische von Frau Freitag saubermachen. Allerdings kam alles ganz anders.
Plötzlich geht die Tür auf, und Samira aus meiner Klasse kommt rein. Die 7. Klasse, die ich noch die letzten zwanzig Minuten im Zaum zu halten versuche, gibt ein grauenhaftes Bild ab: lautes Rumgekreische, Murat am Straftisch direkt neben der Tafel schaukelt mit dem Oberkörper vor und zurück und rappt dabei. Alle Mädchen stecken die Köpfe zusammen und quasseln ohne Pause. Der adipöse Dirk hat sein dickes Bein auf den Nachbarstuhl gelegt, sich zurückgelehnt und diskutiert lautstark mit der ganzen Klasse. Dschingis und Ali unterhalten sich quer durch den Raum über ihre Penisgrößen. Hassan latscht durch die Klasse und schmeißt Federtaschen runter.
Samira setzt sich neben mich ans Pult und erzählt, dass sie aus dem Chemieunterricht geflogen sei. Dann beobachtet sie stumm das bunte Treiben. Plötzlich springt sie auf und schreit: »SEID DOCH MAL LEISE! SPINNT IHR? IHR HABT UNTERRICHT. WAS SEID IHR FÜR EINE KLASSE?«
Die Schüler sind sofort mucksmäuschenstill. Dann zeigt sie auf den dicken Dirk: »Ey, du da hinten. Du denkst wohl, du wärst voll der Coole.«
Dirk: »Meinst du mich?«
»Nein, ich meine nicht dich, ich meine den hinter dir.« Hinter Dirk sitzen Anne und Emma. »Natürlich meine ich dich! Sag mal, wie benimmst du dich hier eigentlich?«
Zu mir: »Frau Freitag, ist der immer so?« Ich nicke.
Zu Dirk: »Merkst du nicht, dass du die ganze Klasse kaputtmachst? Du denkst, du wärst cool? Cool bist du, wenn du hier in der 10. Klasse den Realschulabschluss geschafft hast.«
Dann zu allen: »Ihr könnt euch doch nicht so benehmen! Denkt ihr, nur weil Frau Freitag nett ist, könnt ihr hier so einen Larry machen? Wenn man in der 7. Klasse schlecht ist, schafft man auch die andern Klassen nicht. Was wollt ihr denn mal werden? Ihr braucht doch einen Schulabschluss.« Allgemeines Schweigen.
»Sie müsste voll in unserer Klasse sein, abó «, flüstert ein Mädchen.
Dschingis sieht mein Grinsen: »Guck, wie Frau Freitag grinst. Sie hat voll Bodyguard.« Und recht hat er.
Ich lasse Samira die Klasse bis zum Klingeln in Schach halten. Inklusive: »Frau Freitag hat den Unterricht noch nicht beendet! Also setzt euch alle wieder hin!« Beim Rausgehen werfen die Siebtklässler noch einen ehrfürchtigen Blick auf Samira, die ihren Auftritt genossen hat.
Wir gehen gemeinsam die Treppe runter: »Sag mal, Samira, willst du nicht Lehrerin werden? Das hast du eben so gut gemacht.«
»Ich Lehrerin? Abó ! Mit solchen Spastenkindern – niemals!«
Mehmets Zukunft
Ich hatte seit langem mal wieder meine durchgedrehte Klasse. Die Schüler arbeiten geistlos, aber sehr zufrieden vor sich hin. Ist ’ne eher manuelle Aufgabe.
Wir quatschen. Mehmet erzählt, dass er einen Brief vom Jobcenter bekommen habe. Sie wollten mal mit ihm über seine Zukunft reden. Das haben sie dann wohl auch gemacht: »Sie haben gesagt, wenn ich keine Lust mehr auf Schule hab, dann kann ich einen Ein-Euro-Job machen.« Er ist empört.
»Ah, super«, sage ich, »ich habe gerade gelesen, dass man da jetzt die Hundescheiße von den Fußwegen räumen muss. Das ist doch mal was Nützliches …« Jetzt ist der Rest der Klasse auch noch empört – so eine niedere Tätigkeit – sie doch nicht!
»Na, Mehmet, was willst du denn werden?«, frage ich.
»Mein Onkel hat Taxiunternehmen. Ich mach auch Unternehmerschein, und dann mach ich mein eigenes Taxiunternehmen auf«, antwortet er stolz.
»Ja, aber da reicht doch der Schein nicht. Da brauchst du doch auch Geld. Du musst doch die Autos kaufen«, gebe ich altklug zu bedenken.
»Geld? Kein Problem. Geld hab ich.« Mehmet grinst zweideutig. Mein Verdacht verstärkt sich, dass er nicht ganz sauber ist.
»Mehmet, du mit deinen krummen Geschäften, dich kriegen sie doch sofort. Du sitzt doch eher im Knast als im Fahrschulauto. Und überhaupt: Was willst du denn sagen, wo das ganze Geld her ist?«
»Ich sag, ich hab geerbt.« Überwältigt von seiner tollen Idee lehnt Mehmet sich zurück.
»Der Experte spricht«, kommentiert Abdul trocken.
Ich lache. »Mehmet, komm mal in der Realität an! Wenn du
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