Chimären
wurde sehr förmlich. „Sie sind bei mir für einen Teil der Forschung, einen wichtigen, zuständig, einschließlich der Versuche. Dafür werden Sie bezahlt, ich denke, gut bezahlt. Ich aber bin für das Ganze verantwortlich, verstehen Sie, eingeschlossen der zweihundertdreißig hochqualifizierten Beschäftigten. Und ich habe die Fürsorgepflicht, jetzt und für die Zukunft. Ich habe auf das Renommee zu achten und auf Innovation, die Konkurrenz in Schach zu halten und Märkte zu erschließen. L’art pour l’art, meine Liebe, können, dürfen wir uns, weiß Gott, nicht leisten.
Ich werde Ihnen mal etwas sagen: Es ist wahrscheinlich gar nicht so sehr die Sorge um mich, um Ihren Job, ums Institut, die Sie auf die Palme treibt. Modalitäten zur Sicherheit und Geheimhaltung haben wir ausführlich besprochen.“ Seine Worte wurden versöhnlicher. „Sie haben sich verliebt in Ihre Geschöpfe, diesen Lux und die anderen. Das ist es. Sie wollen sie nicht hergeben, die Krönung Ihrer Arbeit, die Edelsteine Ihrer Karriere, habe ich Recht?“ Das Letzte klang wieder ironisch.
Shirley Lindsey schwieg. Ihr Puppengesicht zeigte Röte, sie rang sichtbar nach Fassung. Die Finger schlang sie ineinander, dass die Gelenke weiß wurden.
„So, nun sachlich“: Lehmann beugte sich vor, sah sie eindringlich an. „Von diesem renitenten Lux werden wir uns trennen. Er riss aus, weil er angeblich eine Identität suchte. Die soll er nun haben als Leithund der Gruppe, die ich in die Emirate verkaufe. Als Vorzeigeerfolg behalten wir diese Hündin aus dem gleichen Wurf. Sie könnte Ihnen gleichzeitig hilfreich bei den Fortpflanzungsversuchen sein. Im Übrigen sind etliche der Heranwachsenden nicht schlechter gelungen als diese Schäffi und Ihr Lux. Gratulation dazu! Vom Käufer habe ich die Option auf weitere Lieferungen, wenn wir ihn mit der jetzigen Ware zufrieden stellen. Und dafür bitte ich Sie, mit zu sorgen. Also reden Sie noch einmal mit Ihrem Favoriten, diesem Ausreißer.
Und nun zu Ihrer Beruhigung: Es ist vertraglich vereinbart – mit Sanktionen –, dass die Herkunft dieser Kreaturen vom neuen Besitzer geheim gehalten wird. Sie bekommen genaue Anweisungen, wie sie sich in der Öffentlichkeit, die übrigens stark eingeschränkt ist, zu verhalten haben. Sie werden für die Bewachung von abgelegenen staatlichen und insbesondere privaten Objekten eingesetzt, zum Beispiel von einem Harem – ja ja, so etwas existiert dort noch. Moralische Skrupel seitens der neuen Besitzer sind ausgeschlossen. Solche Knebelgesetze wie bei uns gibt es in diesen Staaten nicht, so dass unsere Geschöpfte auch in dieser Richtung nichts zu befürchten haben. Ich habe außerdem eine Rücknahmeklausel vertraglich vereinbart, deren Wirksamwerden auch von Ihrem Lux beansprucht werden könnte. Sind Sie zufrieden?“
Master Lindsey zuckte mit den Schultern. „Sie sind der Boss!“, antwortete sie und erhob sich.
S hirley Lindsey genoss trotz der unerfreulichen Ereignisse der letzten Tage die Dienstreise. Lux’ Eskapaden hatten keinen nennenswerten Schaden hinterlassen, und die Verstimmung mit Manuel würde die Zeit heilen, hoffte sie sehr. Ihre Bedenken zum Ausgang des Experiments hatte sie zunächst mit der Maxime verdrängt: Erst das Ausmaß und die Einstellungen aller Beteiligten kennenlernen, sich ein genaues Bild machen und dann eine Meinung bilden, vielleicht entscheiden… Dabei ging es ihr nach wie vor weniger um moralische Kategorien, als vielmehr um die Identität der Kreaturen und ihre Eingliederung in die Gesellschaft – eine in der Gegenwart offenbar haltlose Vision. Von den Ergebnissen der Besuche aber erwartete sie mehr Klarheit zu dieser ihrer Auffassung, und dies machte die Reise für sie spannend. Die Inspektion begann sie in der belgischen Außenstelle Tielt, die, im Ausbau begriffen, das Programm für die Züchtung von Canismuten noch nicht aufgenommen hatte. Nach der aktuellen Planung sollte dies auch nur in einem bescheidenen Maße geschehen.
Es ging Uwe Lehmann – geschäftstüchtig, wie er war – mit der Einrichtung von Niederlassungen im Ausland darum, prophylaktisch Zellen zu schaffen, in denen nahtlos weitergearbeitet werden könnte, falls im eigenen Land durch eine Verschärfung der Gesetze eine weiteres juristisches Ausbremsen dieser sensiblen Forschungen einträte.
Die Geschäftsführerin, eine ältliche, energische Molekularbiologin, die aus dem Elsass stammte, empfing Shirley herzlich. Sie
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