Chimären
berichtete, dass sie daran arbeite, für das Projekt zwei zuverlässige Leute zu testen. Nach Lage der Dinge würde man frühestens in einem halben Jahr mit dem Programm beginnen können.
Shirley besichtigte die großzügig angelegten, im Bau befindlichen Räumlichkeiten, achtete insbesondere, eingedenk Lux’ Flucht, auf die Sicherheitsvorrichtungen und verabschiedete sich bereits am Mittag des Anreisetages. Sie ließ noch zwei Stunden den Charme des Provinzstädtchens auf sich wirken und gönnte sich einen Abstecher an die Nordsee nach Ostende, einen Landstrich, den sie nicht kannte.
Die Zeit reichte sogar für ein erfrischendes Bad. Sie musste erst tags darauf ab Brüssel nach Bukarest starten.
Ihr nächster Besuch galt der Niederlassung in Brasov am Ausgang der östlichen Karpaten, einer Stadt und angeblich malerischen Landschaft, die sie ebenfalls nicht kannte. Danach sollte sie die Zweigstelle in Roznava, einem Städtchen in der Slowakischen Schweiz, aufsuchen – auch reizvolles Neuland für sie. Das lettische Kampar würde den Abschluss der Reise bilden. ‚Irgendwie’, so dachte Shirley, ,hat Lehmann die Standorte wohl nicht unabhängig von den Landschaften, in denen sie lagen, für seine Niederlassungen ausgesucht.’ Und sie erinnerte sich, dass er in der Vergangenheit des Öfteren für einige Tage die eine oder andere dieser Stätten besucht hatte.
Brasov, so hatte sich Shirley ein wenig vorbereitet, ein rumänischer Kurort in reizvoller bergiger Landschaft, hatte in den letzten Jahrzehnten stark unter instabilen politischen Verhältnissen gelitten, die zwangsweise zu einem Besucherschwund führten, und befand sich erst nach den letzten Wahlen im Land wieder in einem moderaten Aufwärtstrend.
Shirley traf nachmittags ein und erfreute sich, da erst für den nächsten Tag im Institut angemeldet, an den in vielem Grün schwelgenden Erholungsstätten, von ehemaligem Prunk zeugenden Bauwerken und den, von all den staatlichen Querelen nach außen hin offenbar unbeeinflussten freundlichen Händlern hinter ihren Ständen an den Straßenrändern.
Vom Leiter der Niederlassung, Doktor Onescu, einem schlanken, sportlichen Typ mit schwarzen, geölten Haaren, wurde Shirley zwar zuvorkommend, aber kühl empfangen. Er führte sie zunächst durch den großzügig angelegten Institutskomplex, wobei sie den Eindruck gewann, als sei das, was der Mann mit einer gewissen Arroganz vorzuzeigen hatte und erklärte, ausschließlich ein Produkt seiner und landeseigener Initiative. Sein Selbstwertgefühl schien außerordentlich ausgeprägt zu sein. Er war überzeugt, dass seine fünf Canismuten – Shirley musste sich eingestehen, prächtige Exemplare – die übrigen 50 der anderen Stätten in ihrer Entwicklung weit übertreffen würden.
Dann, bereits am späten Nachmittag kurz vor Dienstschluss, der herbe Rückschlag: Der Niederlassungsleiter und Shirley passierten beim Verlassen des Sicherheitstraktes gerade die Schleuse, als sich Onescus Mobiltelefon meldete. Er hörte, sein Gesicht zeigte zunächst Verwunderung, später Ärger; dann sprach er einige Worte im gereizten Befehlston in der Landessprache und wandte sich danach Shirley zu. „Entschuldigen Sie, meine Sekretärin übermittelte mir gerade die Anweisung aus Ihrer Zentrale: Die Canismuten sind sofort gegen Tollwut zu impfen. Wissen Sie etwas von einer solchen Maßnahme? Das ist doch – mit Verlaub – Unsinn. Seit Jahren ist kein Fall bekannt.“ Er zuckte mit den Schultern.
Shirley Lindsey schüttelte mit verzogenem Mund nachdrücklich den Kopf. „Nicht dass ich wüsste!“
„Na gut, Doktor Lehmann ist der Boss. Ich habe bereits Anweisung gegeben. Er will eine Vollzugsmeldung.“ Seine Worte klangen sarkastisch, der Widerwille gegen die Maßnahme ließ sich deutlich heraushören.
Wenige Augenblicke später tauchte ein Mann im weißen Kittel und mit einem Köfferchen auf, der ehrerbietig grüßte, verhielt, als Onescu ihn jovial mit gestrecktem Arm aufhielt und vorstellte: „Doktor Manus, der in das Programm eingeweihte Tierarzt.“
„Guten Tag“, sagte der Mann mit leichtem Akzent.
„Hallo“, grüßte Shirley zurück.
Der Tierarzt betätigte die Codetastatur und verschwand in der Schleuse.
Shirley und Onescu schritten langsam weiter. „Ich verstehe das wahrhaftig nicht“, sagte Letzterer, offenbar mit der Weisung noch immer nicht im Reinen.
„Vielleicht“, mutmaßte Shirley, „ist
Weitere Kostenlose Bücher