Chimären
beiläufig.
,Sie haben nicht wirklich zugebissen’, dachte Susan Remp erleichtert. ,Ich hätte es nicht überlebt.’ Sie rappelte sich auf, klopfte mechanisch Staub aus der Kleidung, die ramponiert, zum Teil in Fetzen an ihr hing. Sie gewahrte einige Schürfwunden an den Beinen vom Sturz, Kratzer und auch Spuren der spitzen Zähne.
„Das hättest du dir wirklich ersparen können“, stellte der Wortführer fest, und es schien Susan, als höre sie aus dem Tonfall so etwas wie Bedauern heraus.
Die schweigende Meute hielt die Frau eingekreist und drängte zur Kraftfahrzeughalle am Labortrakt.
„Aufmachen!“
Susan Remp hatte jeden Widerstand aufgegeben. Dennoch hätte sie beinahe ihrem Spott freien Lauf gelassen. ,Großes Maul’, dachte sie hämisch. ,Aber nicht einmal ein Tor können sie aufmachen.’ Tatsächlich lachte sie innerlich über die Unbeholfenheit ihrer Peiniger.
Erst allmählich begann Susan Remp das ungeheuerliche Geschehen um sie herum zu begreifen. Dass im Institut weltweit nie Dagewesenes, Aufsehenerregendes entwickelt und in immer größer werdendem Umfang vielerorts angewendet wurde, war etwas, auf das die Mitarbeiter Lehmanns mit Recht stolz sein konnten. Jeder hatte auch begriffen, dass ein Teil des Instituts als Sicherheitstrakt ausgewiesen wurde, zu dem nur wenige Mitarbeiter bei strenger Kontrolle Zugang hatten – vorwiegend aus Konkurrenzgründen, so die offizielle Version. Und natürlich wurde allerlei gemunkelt. Dann und wann erregten gewisse Warenlieferungen Aufsehen oder besondere Geräusche, die aus dem mit einer hohen Mauer umgebenen Garten drangen. Und natürlich trug die Verschlossenheit derjenigen, die zur Geheimabteilung Zugang hatten, zur Gerüchtebildung bei. Aber dass dort derartige Kreaturen… Und nicht nur als Einzelexemplare! Susan Remp überschlug: Mindestens dreißig der Geschöpfe tummelten sich um sie herum. ,Unfassbar!’
Plötzlich dachte sie daran, dass um diese Zeit, kurz vor dem Regelarbeitszeitende, noch eine Anzahl von Kollegen im Institut anwesend sein müsste. Nicht nur die parkenden Autos sprachen dafür. „Wo sind meine Kollegen, was geschieht mit ihnen?“, herrschte sie ihre Begleiter an. Sie dachte an Fred, den Freund, der vermutlich ebenfalls noch im Objekt weilte und mit dem sie für den Abend verabredet war.
„Nichts“, antwortete einer der Dobermänner, die sie nicht mehr voneinander unterscheiden konnte. „Mach schon auf!“
Susan öffnete das Tor, man drängte sie zum institutseigenen Omnibus.
„Na, Tür auf!“
Sie befolgte geflissentlich auch diese Order. Ein schadenfrohes Lächeln allerdings konnte sie sich nicht verkneifen.
„Einsteigen!“, raunzte der Anführer.
Susan Remp wurde mit Nachdruck auf die hintere Sitzbank gelotst.
Um den Bus herum begann ein lebhaftes Treiben. Je zwei der Geschöpfe zerrten Kartons heran, die sie mit den Zähnen gefasst hielten und umständlich in das Fahrzeug hievten.
Es war der Frau klar, dass eine Fahrt, eine Reise bevorstand. Nicht vorstellen konnte sie sich, wie der Autobus bedient werden sollte bei der körperlichen Beschaffenheit der Akteure. Schon hegte sie Befürchtungen, dass gar sie vielleicht… Doch wenig später wurde sie dieser Befürchtung enthoben: Zwei Schimpansen mit entstellten Köpfen watschelten heran, nahmen vorn im Fahrzeug Platz, der eine machte sich am Steuer und der Schaltung zu schaffen, und wenige Augenblicke später sprang der Motor an. Aber noch ging die Beladung weiter. Der Gang, die Sitze wurden vollgestellt. Der zweite Affe half dabei; er öffnete die Gepäckboxen des Busses, und auch diese wurden vollgestopft.
Dann erschien mit drei Begleitern ein stattlicher Schäferhund-Mutant. Er wurde mit Urlauten begrüßt; für Augenblicke ruhte die Arbeit Susan Remp beobachtete dies mit wachsender Furcht.
Der Ankömmling hatte sich aufgerichtet, indem er sich mit den Vorderläufen an einem Kartonstapel abstützte. Er überwachte offenbar das Treiben, das jetzt nur noch dem Verladen, nicht mehr dem Herbeischaffen galt.
Dann stieß der Aufsichtsführende einen kurzen Heulton aus. Über den Hof eilten, aus dem Hauptgebäude kommend, noch einige der Kreaturen heran. „Einsteigen!“ Seine Stimme klang heller und erschien Susan deutlicher verständlich, wenn man das von einem gehörten Wort herleiten konnte.
„Ich will raus!“, schrie Susan Remp und machte kraftvoll Anstalten, die hintere Tür
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