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Chimären

Chimären

Titel: Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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bei den Hilfsmitteln, derer sich diese Leute bedienen konnten, in der Nähe von Null. Nur mit dem Zufall und ihrem eigenen Geschick konnte sie rechnen. Dennoch, was schon sollte passieren, wenn man sie aufgriffe? Nur das, was sie mit ihrem Alleingang bezweckte, zu warnen, sich in die Rolle eines Kollaborateurs zu begeben, wäre vergebens gewesen.
      Shirley hatte sofort nach diesem äußerst unerfreulichen Kontakt mit Matenstock versucht, eine telefonische Verbindung zur Festung, zu Susan Remp, herzustellen, jedoch ohne jeden Erfolg. Sie hatte eine eMail abgesetzt und kein Echo erhalten, so dass sie sich, als letzte Chance sozusagen, entschlossen hatte, sich auf das wenig aussichtsreiche Unterfangen einzulassen. Sie wollte sich unter keinen Umständen dem Vorwurf aussetzen, nicht alles getan zu haben, um den Verrat zu verhindern. Sie war es sich, glaubte sie, und – ihren Geschöpfen schuldig. Dass daraus Konsequenzen erwüchsen, darüber war sie sich im Klaren, welcher Art, ließ sie vorerst kalt.
      Shirley Lindsey erreichte den allgemeinen Parkplatz für Besucher weit unterhalb der Festung, von dem aus eine schmale Straße zum Objekt selber führt – gesperrt für Unbefugte. Ein von weitem sichtbares Schild wies darauf hin, dass die Festung wegen Bauarbeiten vorübergehend geschlossen sei.
      Zwei gewöhnliche Limousinen und zwei Polizeifahrzeuge standen da.
      Shirley fuhr vorbei.
      Im Städtchen parkte sie vor einem Wohnhaus, marschierte mit kleinem Gepäck ein gutes Stück in die Richtung, aus der sie gekommen war und betrat dann den Wald, als sie sich unbeobachtet glaubte. Im sicheren Schutz der Bäume hängte sie sich das vorbereitete grüne Laken um und setzte einen Winter-Kopfschutz auf, der lediglich einen Schlitz für die Augen frei ließ. Selbst die Hände steckte sie in graue Leinenhandschuhe. Gegen zufällige Sicht aus menschlichen Augen fühlte sie sich, solchermaßen getarnt, einigermaßen sicher, ob gegen elektronische auch, würde sich herausstellen.
      Shirley Lindsey begann den mühsamen weglosen Aufstieg über Steine und Wurzeln steil querwaldaufwärts.
      Irgendwann in ihrer Mädchenzeit hatte sie – wie die meisten ihres Alters – „Winnetou“ gelesen. Nun fiel ihr ein, daraus erfahren zu haben, dass man, will man sich unbemerkt jemandem nähern oder von ihm nicht bemerkt werden, keineswegs auf trockene Äste treten, durch Laub schlürfen oder Zweige schnellen lassen durfte. So gut es ging, befolgte sie bei ihrem Schleichgang die Ratschläge des Karl May.
      Es ging langsam voran. Jedes Mal nach wenigen Schritten blieb Shirley stehen, horchte, versuchte, mit dem Blick das Unterholz und die Räume zwischen den Bäumen zu durchdringen. Aber außer dem Gezwitscher zahlreicher Vögel, dem gelegentlichen Pochen eines Spechts, entferntem Motorenlärm und ihrem eigenen Herzklopfen hörte sie nichts.
      Es dünkte ihr wie eine Ewigkeit, bis es vor ihr immer lichter wurde und sie durch die Wipfel die Quader der mächtigen Mauer schimmern sah, sie den eigentlichen Zugang zur Feste nahe wusste.
      Noch vorsichtiger pirschte sie sich an den Rand des Waldes heran und befand sich dann unmittelbar an dem verödet liegenden Platz vor dem Kassenhäuschen, dem Imbissstand, dem Tunneleingang zum Lift und den Mündungen sowohl der Zufahrtsstraße des Platzes als auch der aufwärtsführenden schmalen zum Festungstor.
      Shirley fühlte: Wenn äußerste Vorsicht geboten, dann hier.
      Sie lag still quer unter einer Bank und beobachtete.
      Nichts bewegte sich.
      Immer wieder ließ sie äußerst aufmerksam die Blicke am Rand des Bewuchses entlang schweifen – keine Regung.
      Wo, zum Teufel, steckten denn die Wächter des Matenstock?
      Dann – halt!
      Gegenüber dem Kassenhäuschen, rechts von ihr, nur wenige Meter neben der Einmündung der vom Besucherparkplatz heraufführenden Straße, wandelten scheinbar Zweige schlierig die Farbe.
      Rauch! Rauch stieg dort auf.
      Shirley hielt, vor allem wegen der kosmetischen Negativwirkung und des überall anhaftenden üblen Ruchs, im Allgemeinen nichts von der Raucherei. Im Augenblick aber war sie dankbar, dass es jene unverbesserlich Süchtigen gab. Sie wusste nun, wohin sie ihre Aufmerksamkeit zu richten hatte.
      Noch eine Weile beobachtete sie das Terrain links von sich. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Besetzer den einzigen Zugang – abgesehen vom leicht zu blockierenden Lift – unbewacht

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