China
überlegenen ausländischen Mächte auch seine starren überlieferten Strukturen reformieren müsse. Am 11. Juni 1898 kündigte er daraufhin eine Reihe von Reformen an, darunter eine Modernisierung des Beamtenapparates und der Beamtenprüfungen, eine Modernisierung der militärischen Ausbildung, die Schaffung eines Wirtschaftsministeriums sowie den Ausbau und die Verbesserung des Bildungswesens. Entsprechende Verordnungen blieben allerdings aus Ehrfurcht der Beamten vor der nach wie vor einflussreichen und traditionsgläubigen Kaiserinwitwe in den Amtsstuben liegen. Als sie über die Reformvorhaben Kenntnis erhielt, setzte sie ihre ganze Macht daran, die höchsten Beamten hinter sich zu einen und den Reformern wie dem Kaiser die Unterstützung durch die Kriegsherren im Norden zu entziehen. Am 22. September 1898 ließ sie ihren Neffen auf einer Insel im Palastsee festsetzen und regierte in seinem Namen weiter. Die Reformen wurden rückgängig gemacht und sechs der beteiligten Reformer, darunter der Philosoph Tan Sitong (1865–1898), wurden hingerichtet. Einem der einflussreichsten Reformer, dem Gelehrten Kang Youwei (1888–1927) und seinem Schüler Liang Qichao (1873–1929) gelang die Flucht nach Japan.
Unsicherheit des Kaiserhofes
Die Episode der 100-Tage-Reform zeigt die Unsicherheit der politischen Situation. Arbeitslosigkeit aufgrund erzwungener Importe, die das Land überschwemmten sowie die Feindseligkeit, die das Verhalten der Ausländer hervorrief, waren Ende des 19. Jahrhunderts Auslöser für zahlreiche Bauernaufstände und ein Wiederaufleben alter Geheimgesellschaften, wie etwa der „Gesellschaft des Weißen Lotus“. Ihre Mitglieder trainierten die Kampfkünste und wurden daher von den Ausländern als „Boxer“ bezeichnet. Ihre Angriffsziele waren Eisenbahnen, Fabriken, Importhändler ebenso wie Missionare und zum Christentum konvertierte Chinesen (siehe S. 148)
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Eine Fotografie des späteren Kaisers Guangxu (1871–1908), hier mit seinem Vater, dem Prinzen Chun Jixuan, aus dem Jahre 1900
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(c) Interfoto, München
Beamtenprüfungen und Reformen
(1898)
Eine Prüfung für die Beamtenlaufbahn: Die Lehrer, erkennbar an den typischen Gelehrtenhüten, überwachen von einer erhöhten Position aus das Geschehen. Tatsächlich waren Prüfungssituationen weitaus weniger malerisch. Die Prüflinge wurden tagelang eingesperrt, bis alle Prüfungsteile absolviert waren.
Historische Wurzeln
Bereits in der Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) wurde loyales Personal für die Regierungsadministration nach festgelegten Kriterien ausgewählt. Grundlage der Ausbildung waren zunächst vor allem die klassische Literatur und Philosophie sowie die Ethik der konfuzianischen Lehre. In späteren Dynastien, beispielsweise während der Sui- oder Tang-Dynastie, wurde die Beamtenausbildung umfassender gestaltet, um Kandidaten gezielt für spezielle Laufbahnen zu qualifizieren: Es standen sowohl zivile als auch militärische Ämter offen.
Am Ende der Ausbildung standen mehrtägige mündliche und schriftliche Prüfungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. Die Prüfungsaufsätze wurden streng kontrolliert in Zellen von zwei Quadratmetern Größe geschrieben. Das Jahrhunderte alte Prüfungswesen war nicht nur streng, sondern erwies sich auch als effizient: Wie an heutigen europäischen Hochschulen üblich, wurden die Prüfungen anonym geschrieben. Die Prüfer kannten die Verfasser der Prüfungsaufsätze also nicht. Lediglich ein Inspektor konnte anhand einer Liste die mit Zeichen versehenen Schriftstücke den Namen der Prüflinge zuordnen. Inspektoren, die verrieten, welcher Prüfling unter welchem Zeichen registriert war oder das Prüfungsthema vorzeitig bekannt gaben, wurden zum Tode verurteilt. Die Beamtenanwärter erwarben bestimmte akademische Grade ähnlich den heutigen internationalen Hochschulabschlüssen. Diese Titel berechtigten zur Amtsausübung auf Kreis-, Provinzund Hauptstadtebene. Das kaiserliche Personalministerium entschied dann über die Berufung in einzelne Ämter. Diese Form der Beamtenausbildung blieb in China bis ins späte 19. Jahrhundert erhalten.
Der Ursprung des Beamtentums
Die Ursprünge des Beamtentums liegen im Ägypten des 3. Jahrtausends v. Chr. Auch zahlreiche andere Staaten der Antike schufen sich eine „Dienerschaft“ rund um die zentralistischen Regierungs- und Verwaltungssektoren. Basis des Beamtentums war seit jeher die uneingeschränkte Loyalität des Beamten gegenüber seinem
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