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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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gewöhnliches, ziemlich farbloses Haus gewesen ist, das genauso aussah, wie all die anderen Häuser rings um den Dorfplatz, hat sich in ein rotgoldenes Stück Konfekt vor blütenweißem Hintergrund verwandelt. Rote Geranien in den Blumenkästen. Das Balkongeländer mit Girlanden aus rotem Krepp umwickelt. Und über der Tür ein handgemaltes Schild aus schwarzer Eiche:
    La Céleste Praline
    Chocolaterie Artisanale
    Die himmlische Praline. Das ist natürlich lächerlich. Ein solcher Laden mag vielleicht in Marseille oder Bordeaux auf Begeisterung stoßen – oder auch in Agen, wo es von Jahr zu Jahr mehr Touristen gibt. Aber in Lansquenet-sous-Tannes? Noch dazu zu Beginn der Fastenzeit, in der die Menschen Verzicht üben sollen? Das scheint mir doch pervers zu sein, möglicherweise sogar mit Absicht. Ich habe mir heute morgen die Auslagen im Schaufenster angesehen. Auf einer weißen Marmorplatte sind zahllose Schachteln undTüten aus Silber- und Goldpapier ausgestellt, mit Rosetten, Glöckchen, Blumen, Herzchen und bunten, gekringelten Schleifen verziert. Unter Glasglocken liegen Pralinen, Trüffel, Venusbrüstchen, mendiants , kandierte Früchte, Haselnußsplitter, Meeresfrüchte aus Schokolade, kandierte Rosenblätter, Veilchenpastillen … Durch die Markise vor der Sonne geschützt, glänzen sie im Halbschatten wie die versunkenen Schätze in Aladins Höhle. Und in der Mitte hat sie die Hauptattraktion aufgebaut. Ein Lebkuchenhaus, dessen Wände mit Schokolade überzogen sind; Türen und Fenster sind mit silbernem und goldenem Zuckerguß aufgemalt, das Dach ist mit Dachpfannen aus Florentinern gedeckt, an den Giebeln ranken seltsame Kletterpflanzen aus Zuckerguß und Schokolade empor, an denen kandierte Früchte wachsen, neben dem Haus stehen Bäume aus Schokolade, in denen Marzipanvögel zwitschern … Und dann die Hexe, von ihrem hohen, spitzen Hut bis zum Saum ihres langen Umhangs aus dunkler Schokolade. Sie reitet auf einem Besenstil, der dem Kitsch die Krone aufsetzt, einer von diesen langen, bunten, gezwirbelten Zuckerstangen, wie man sie zu Karneval überall an der Straße kaufen kann … Von meinem Fenster aus kann ich das Schaufenster sehen, das wie ein halb geschlossenes Auge zu mir herüberstarrt und mir verschwörerisch zuzuzwinkern scheint.
    Caroline Clairmont hat wegen der Waren, die in diesem Laden feilgeboten werden, ihr Fastengelübde gebrochen. Gestern im Beichtstuhl hat sie es mir gestanden, in diesem atemlosen, mädchenhaften Ton, der ihre Beteuerungen der Reue so unglaubhaft macht.
    »O mon père , ich mache mir solche Vorwürfe! Aber was sollte ich tun, wo diese charmante Frau so reizend zu mir war? Ich meine, ich habe nicht mal im Traum daran gedacht, bis es zu spät war, obwohl ich all das süße Zeug überhaupt nicht anrühren dürfte … Ich meine, in den letzten zwei Jahren bin ich aufgegangen wie ein Hefekuchen , und wenn ich daran denke, möchte ich am liebsten sterben  …«
    »Zwei Ave-Maria.« Gott, diese Frau. Selbst durch die Gitterstäbe spüre ich ihre lüsternen Augen. Sie gibt sich zerknirscht über meine Schroffheit.
    »Selbstverständlich, Vater.«
    »Und denken Sie daran, warum wir in der Fastenzeit enthaltsam sind. Nicht aus Eitelkeit. Nicht, um unsere Freunde zu beeindrucken. Nicht, damit wir in die teuren Kleider passen, die im nächsten Sommer in Mode kommen.« Ich bin absichtlich schonungslos. Es ist genau das, was sie braucht.
    »Ja, ich bin eitel, nicht wahr?« Ein kurzes Schluchzen, eine Träne, die sie vorsichtig mit dem Zipfel eines Batisttaschentuchs abtupft. »Eine dumme, eitle Frau.«
    »Denken Sie an unseren Herrn Jesus. An das Opfer, das er für uns gebracht hat. An seine Demut.« Ich rieche ihr Parfüm, irgend etwas Blumiges, zu intensiv in dieser dunklen Enge. Ich frage mich, ob es verführerisch wirken soll. Falls ja, bin ich aus Stein.
    »Vier Ave-Maria.«
    Es ist eine Art Verzweiflung. Es zerfrißt die Seele, zersetzt sie Stück für Stück, so wie eine Kathedrale über die Jahre von in der Luft fliegenden Staub- und Sandkörnchen allmählich abgetragen wird. Ich spüre, wie es an meiner Entschlossenheit nagt, an meiner Freude, meinem Glauben. Ich möchte ihnen in Leid und Kümmernis beistehen, sie durch die Wildnis geleiten. Und nun das. Diese schleppende Prozession von Lügnern, Schwindlern, Vielfraßen und erbärmlichen Selbstbetrügern. Der Kampf zwischen Gut und Böse personifiziert in einer dicken Frau, die in jämmerlicher Unentschlossenheit

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