Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
Vom Netzwerk:
darum bittet, lasse ich sie unbehelligt. Stur verweigert sie jede ärztliche Behandlung und jeden geistlichen Beistand. Wahrscheinlich glaubt sie, sie würde ewig leben. Aber eines Tages wird sie zusammenbrechen. Das tun sie alle. Und ich werde ihr demütig die Absolution erteilen; trotz all ihrer Verfehlungen, ihres Stolzes und ihrer Halsstarrigkeit werde ich um sie trauern. Am Ende kriege ich sie, mon père . Am Ende werde ich sie alle kriegen, nicht wahr?
    Donnerstag, 20. Februar
    Ich hatte sie erwartet. Karierter Mantel, das Haar streng und unvorteilhaft aus dem Gesicht frisiert, die Hände nervös wie die eines Revolverhelden. Joséphine Muscat. Sie wartete, bis meine Stammkunden – Guillaume, Georges und Narcisse – gegangen waren, dann kam sie herein, die Hände tief in den Manteltaschen.
    »Eine Tasse Schokolade, bitte.« Sie setzte sich unbeholfen auf einen Hocker und starrte in die leeren Tassen, die ich noch nicht weggeräumt hatte.
    »Selbstverständlich.« Ohne mich zu erkundigen, wie sie sie wünschte, brachte ich ihr die Schokolade mit Sahne und Streuseln garniert und dazu zwei Mokkatrüffel. Einen Augenblick lang betrachtete sie die Tasse mit zusammengekniffenen Augen, dann griff sie vorsichtig danach.
    »Neulich«, sagte sie mit gezwungener Beiläufigkeit, »habe ich etwas zu bezahlen vergessen.«
    Sie hat lange, schmale Finger, an denen die Schwielen wie ein Widerspruch wirken. Jetzt, wo sie entspannt ist, scheint ihr Gesicht etwas von dem gequälten Ausdruck zu verlieren, bekommt etwas Anziehendes. Ihr Haar ist dunkelblond, ihre Augen sind bernsteinfarben. »Es tut mir leid.« Mit einer fast trotzigen Geste warf sie das Zehn-Franc-Stück auf die Theke. Wie automatisch ballten ihre Hände sich zu Fäusten, die Daumen bohrten sich in ihr Brustbein, dieselbe Geste, die ich schon einmal beobachtet hatte.
    »Ist schon in Ordnung.« Ich bemühte mich, beiläufig und uninteressiert zu klingen. »So etwas kommt immer mal vor.« Einen Augenblick lang schaute Joséphine mich mißtrauisch an, dann, als sie keine Feindseligkeit spürte, entspannte sie sich ein wenig. »Die schmeckt gut.« Sie nippte an ihrer Schokolade. »Wirklich gut.«
    »Ich mache sie selbst«, erklärte ich. »Aus Kakaobutter, bevor das Fett hinzugefügt wird, um die Schokolade zuhärten. So haben die Azteken sie schon vor Jahrhunderten getrunken.«
    Wieder ein kurzer, mißtrauischer Blick.
    »Vielen Dank für Ihr Geschenk«, sagte sie schließlich. »Schokomandeln. Meine Lieblingssorte.« Und dann sprudeln die Worte hastig aus ihr heraus: »Ich habe es nicht mit Absicht mitgenommen. Sie haben bestimmt über mich geredet, ich weiß es genau. Aber ich stehle nicht. Das behaupten die immer« – ihr Ton wird verächtlich, die Mundwinkel verziehen sich vor Abscheu und Selbsthaß –, »dieses Weibsbild Clairmont und ihre Freundinnen. Lügnerinnen.«
    Sie schaute mich herausfordernd an.
    »Ich habe gehört, Sie gehen nicht zur Kirche.« Ihre Stimme klang gereizt, zu laut für den kleinen Raum, in dem nur wir beide uns befanden.
    Ich lächelte. »Stimmt. Ich gehe nicht zur Kirche.«
    »Sie werden hier nicht lange überleben, wenn Sie nicht gehen«, sagte Joséphine mit derselben hohen, schneidenden Stimme. »Die werden Sie genauso vertreiben, wie sie jeden vertreiben, der ihnen nicht in den Kram paßt. Sie werden es ja sehen. All das hier« – eine eher angedeutete, kurze Geste, um auf die Regale, die Schachteln, die Auslagen im Fenster hinzuweisen – »wird Ihnen nichts nützen. Ich habe sie reden hören. Ich habe gehört, was sie über Sie sagen.«
    »Ich auch.« Ich goß mir aus der silbernen Kanne eine Tasse Schokolade ein. Dunkel und stark wie Espresso, mit einem Löffel aus Schokolade zum Umrühren. Dann sagte ich sanft: »Aber ich brauche ja nicht hinzuhören.« Ich nippte an meiner Schokolade. »Und Sie auch nicht.«
    Joséphine lachte.
    Wir schwiegen. Fünf Sekunden. Zehn.
    »Sie behaupten, Sie seien eine Hexe.« Schon wieder dieses Wort. Herausfordernd hob sie den Kopf. »Sind Sie eine Hexe?«
    Ich zuckte die Achseln, trank noch einen Schluck.
    »Wer behauptet das?«
    »Joline Drou. Caroline Clairmont. Die Betschwestern von Curé Reynaud. Ich hab sie vor der Kirche reden hören. Ihre Tochter hat den anderen Kindern was erzählt. Irgendwas von Geistern.« Neugier lag in ihrer Stimme und eine unterschwellige Feindseligkeit, die ich nicht verstand.
    »Geister!« rief sie lachend.
    Ich starrte auf die dünne, gewundene

Weitere Kostenlose Bücher