Chocolat
Tür treten sah, brach der Junge mitten im Satz ab und schaute mich zugleich höflich und mißtrauisch an. Sein Haar fiel ihm in die Stirn wie die Mähne eines scheuen Ponys. Er bedankte sich mit ausgesuchter Höflichkeit und nippte eher argwöhnisch als genüßlich an seiner Schokolade.
»Eigentlich d-darf ich so was n-nicht trinken«, sagte er. »Meine Mutter sagt, von Sch-Schokolade kriegt man P-Pickel.«
»Und ich riskiere, daß ich tot umfalle«, sagte Armande keck.
Sie lachte, als sie sein Gesicht sah.
»Komm schon, mein Junge, zweifelst du denn niemals an dem, was deine Mutter sagt? Oder hat sie dir das bißchen Verstand, das du von mir geerbt haben könntest, schon restlos ausgetrieben?«
Luc starrte sie verdattert an.
»D-das sagt sie j-jedenfalls immer«, erwiderte er lahm.
Armande schüttelte den Kopf.
»Also, wenn ich hören will, was Caro zu sagen hat, dann verabrede ich mich mit ihr«, sagte sie. »Was hast du denn zu sagen? Du bist doch ein aufgewecktes Kerlchen, oder zumindest warst du das früher. Also, was meinst du?«
Luc trank einen kleinen Schluck.
»Ich meine, daß sie vielleicht ein bißchen übertreibt«, sagte er zaghaft lächelnd. »Ich finde, du siehst ziemlich fit aus.«
»Und ich hab keine Pickel«, sagte Armande.
Er lachte verblüfft. So gefiel er mir schon besser, seine Augen leuchteten heller, und sein schelmisches Lächeln ähnelte dem seiner Großmutter. Er war immer noch auf der Hut, aber hinter seiner Reserviertheit schien ein kluger Kopfmit einem ausgeprägten Sinn für Humor verborgen. Er trank seine Schokolade aus, lehnte jedoch ein Stück Kuchen ab, obwohl Armande zwei aß. Sie redeten eine halbe Stunde lang ausgiebig miteinander, während ich so tat, als ginge ich meiner Arbeit nach. Ein- oder zweimal bemerkte ich, wie der Junge mich neugierig ansah, doch sobald ich auf ihn aufmerksam wurde, wandte er sich ab. Ich beließ es dabei.
Um halb sechs machte Luc sich auf den Heimweg. Es wurde kein weiteres Treffen vereinbart, aber die selbstverständliche Art, mit der sie sich voneinander verabschiedeten, ließ darauf schließen, daß sie beide dasselbe dachten. Es überraschte mich, wie sehr sie sich ähnelten, wie sie sich aufeinander zu tasteten wie alte Freunde, die sich nach Jahren wiedersehen. Sie haben die gleiche Gestik, dieselbe direkte Art, einen anzusehen, die hohen Wangenknochen, das kantige Kinn. Wenn er reserviert ist, ist die Ähnlichkeit nicht so deutlich zu sehen, aber wenn er munter wird, verschwindet die einstudierte Höflichkeit, die Armande so sehr mißfällt.
Armandes Augen leuchten unter ihrer dunklen Hutkrempe. Luc ist entspannt, sein Stottern wirkt nur noch wie ein leichtes Zögern, fällt kaum noch auf. Ich sehe, wie er in der Tür stehenbleibt, vielleicht weil er überlegt, ob er sie zum Abschied küssen soll. Vorerst jedoch gewinnt die für sein Alter typische Abneigung gegen jede Art Körperkontakt die Oberhand. Er hebt die Hand zu einem scheuen Gruß, dann ist er verschwunden.
Armande dreht sich mit glühenden Wangen zu mir um. Einen Augenblick lang ist ihr Gesicht ungeschützt. Liebe, Hoffnung und Stolz liegen in ihrem Blick. Dann kehrt die Reserviertheit zurück, die sie mit ihrem Enkel gemeinsam hat, und sie klingt gewollt locker, als sie mit einem ruppigen Unterton sagt: »Das war schön, Vianne. Vielleicht komme ich Sie noch mal besuchen.« Dann schaut sie mich auf ihre direkte Art an und berührt meinen Arm. »Sie haben esgeschafft, daß er hergekommen ist«, sagte sie. »Allein hätte ich das nie zuwege gebracht.«
Ich zuckte die Achseln.
»Irgendwann früher oder später wäre es passiert«, sagte ich. »Luc ist kein Kind mehr. Er muß lernen, selbst Entscheidungen zu treffen.«
Armande schüttelte den Kopf.
»Nein, es liegt an Ihnen«, sagte sie trotzig. Sie stand so dicht bei mir, daß ich ihr Maiglöckchen-Parfüm riechen konnte. »Es weht ein anderer Wind im Dorf, seit Sie hier sind. Ich spüre es genau. Jeder spürt es. Alles kommt in Bewegung. Huii! « rief sie amüsiert aus.
»Aber ich mache doch gar nichts«, widersprach ich und mußte mitlachen. »Ich kümmere mich nur um meine eigenen Angelegenheiten. Ich führe meinen Laden. Ich bin einfach ich selbst.« Obschon ich lachen mußte, war mir plötzlich beklommen zumute.
»Egal«, sagte Armande. »Es liegt trotzdem an Ihnen. Sehen Sie sich doch nur an, was sich alles verändert hat; ich, Luc, Caro, die Leute unten am Fluß« – sie machte eine Kopfbewegung in
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