Chocolat
früher als Handwerker auf dem Bau gearbeitet und verdiente sein Geld immer noch mit Reparatur- und Renovierungsarbeiten oder im Sommer und Herbst als Erntehelfer. Aus seinen Erzählungen schloß ich, daß es Probleme gegeben hatte, durch die er zu dem unsteten Leben gezwungen worden war, unterließ es jedoch wohlweislich, mich nach Einzelheiten zu erkundigen.
Als meine ersten Stammkunden erschienen, verabschiedete er sich. Guillaume, wie immer mit Charly auf dem Arm, grüßte ihn höflich, und Narcisse nickte ihm freundlich zu, doch es gelang mir nicht, Roux zum Bleiben zu überreden. Er stopfte sich den Rest seines pain au chocolat in den Mund und wandte sich mit jenem Ausdruck stolzer Unnahbarkeit,mit dem er sich von Fremden distanziert, zum Gehen. An der Tür drehte er sich abrupt um.
»Vergessen Sie nicht, daß Sie eingeladen sind«, sagte er. »Samstag abend um sieben. Und bringen Sie die kleine Fremde mit.«
Noch bevor ich ihm danken konnte, war er verschwunden.
Guillaume blieb länger als gewöhnlich. Narcisse machte seinen Platz für Georges frei, dann kam Arnauld und kaufte drei Champagner-Trüffel – jedesmal das gleiche: drei Champagner-Trüffel und im Gesicht ein Ausdruck schuldbewußter Vorfreude –, und Guillaume saß immer noch auf seinem Stammplatz, das schmale Gesicht von Kummer getrübt. Ich versuchte mehrmals, ihn aufzumuntern, doch er blieb einsilbig, mit den Gedanken woanders. Charly lag träge und reglos unter seinem Hocker.
»Ich habe gestern mit Reynaud gesprochen«, sagte er schließlich so unvermittelt, daß ich zusammenfuhr. »Ich habe ihn gefragt, was ich mit Charly tun soll.«
Ich sah ihn fragend an.
»Es ist so schwer, ihm das zu erklären«, fuhr er leise fort. »Er findet es egoistisch von mir, nicht auf den Tierarzt zu hören. Schlimmer noch, er hält mich für verrückt. Charly ist schließlich kein Mensch.« Er hielt inne, und ich spürte, wie schwer es ihm fiel, die Fassung zu wahren.
»Ist es wirklich so schlimm?«
Aber ich kannte die Antwort. Guillaume schaute mich mit traurigen Augen an.
»Ich glaube schon.«
»Verstehe.«
Er beugte sich zu Charly hinunter, um ihn hinter den Ohren zu kraulen. Der Hund schlug mechanisch mit dem Schwanz und begann leise zu winseln.
»Guter Hund.« Guillaume lächelte mich schüchtern an.
»Curé Reynaud ist kein schlechter Mensch. Er meint esnicht so brutal, wie es klingt. Aber so etwas zu sagen – auf so eine schonungslose Art …«
»Was hat er denn gesagt?«
Guillaume zuckte die Achseln. »Er hat gesagt, ich würde mich schon seit Jahren zum Narren machen mit dem Hund. Er meinte, ihm wäre es ja egal, aber es wäre einfach lächerlich, ein Tier so zu verhätscheln, als wäre es ein Mensch, oder Geld für eine sinnlose Behandlung beim Tierarzt zu verschwenden.«
Ich spürte Ärger in mir aufsteigen.
»Das war gemein von ihm, so etwas zu sagen.«
Guillaume schüttelte den Kopf.
»Er versteht das nicht«, sagte er noch einmal. »Er mag einfach keine Tiere. Aber Charly und ich sind schon so lange zusammen …« Ihm standen Tränen in den Augen, und er wandte sich ab, um sie zu verbergen.
»Sobald ich ausgetrunken habe, gehe ich zum Tierarzt.« Seine Tasse stand seit zwanzig Minuten leer auf der Theke. »Es muß ja noch nicht heute sein, nicht wahr?« Es lag fast so etwas wie Verzweiflung in seiner Stimme. »Er ist doch noch ganz munter. Neuerdings frißt er auch wieder besser. Niemand kann mich dazu zwingen.« Jetzt klang er wie ein störrisches Kind. »Wenn es soweit ist, werde ich es wissen. Da bin ich mir ganz sicher.«
Es gab nichts, was ich zu seinem Trost hätte sagen können. Ich versuchte es trotzdem. Ich beugte mich hinab, um Charly zu streicheln, spürte seine Knochen unter dem dünnen Fell. Manche Dinge können geheilt werden. Wärme strömte aus meinen Fingern, während ich vorsichtig das Ausmaß des Tumors zu erspüren versuchte. Der Knoten war größer geworden. Ich wußte, es war hoffnungslos.
»Es ist Ihr Hund, Guillaume«, sagte ich. »Sie wissen am besten, was gut für ihn ist.«
»Das stimmt.« Einen Augenblick lang wirkte er erleichtert. »Die Medikamente nehmen ihm die Schmerzen. Er winselt nicht mehr die ganze Nacht.«
Ich mußte daran denken, wie es meiner Mutter in ihren letzten Monaten gegangen war. Wie bleich sie gewesen war, wie ihr Fleisch von den Knochen zu schmelzen schien, bis sie schließlich wie ein zartes, zerbrechliches Skelett wirkte. Ihre großen, fiebrigen Augen – Florida,
Weitere Kostenlose Bücher