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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Pornographie, Waffen –, um ihn für den Rest seinesLebens hinter Gitter zu bringen. Aber wir sind in Lansquenet. Hierher würde sich die Polizei nur bemühen, wenn ein Gewaltverbrechen stattgefunden hätte.
    »Ich habe Ihr Plakat gesehen.« Mit soviel Würde, wie ich aufbringen kann, versuche ich es noch einmal. Sie schaut mich höflich fragend an, ein Funkeln in den Augen. »Ich muß sagen« – hier muß ich mich räuspern, weil mir die Galle schon wieder in den Hals gestiegen ist –, »ich muß sagen, daß ich den Zeitpunkt, den Sie für Ihr … für Ihre Veranstaltung  … gewählt haben, äußerst unpassend finde.«
    »Den Zeitpunkt?« fragt sie unschuldig. »Sie meinen das Osterfest?« Sie lächelt mich schelmisch an. »Ich dachte, das wäre Ihr Gebiet«, sagt sie trocken. »Sie sollten sich mit dem Papst auseinandersetzen.«
    Ich starre sie eiskalt an.
    »Ich glaube, Sie wissen genau, was ich meine.«
    Schon wieder dieser höflich fragende Blick.
    »Schokoladenfest. Alle sind eingeladen.« Meine Wut steigt auf wie überkochende Milch, unkontrollierbar. In diesem Augenblick fühle ich mich stark, meine Wut verleiht mir Kraft. Ich zeige mit dem Finger auf sie. »Glauben Sie ja nicht, ich würde nicht durchschauen, was Sie vorhaben.«
    »Lassen Sie mich raten.« Ihre Stimme ist sanft, sie klingt interessiert. »Es ist ein persönlicher Angriff auf Sie. Ein Versuch, die Fundamente der katholischen Kirche zu unterminieren.« Sie lacht so schrill auf, daß sie sich selbst verrät. »Gott bewahre uns davor, daß ein Schokoladengeschäft zu Ostern Ostereier verkauft.« Ihre Stimme klingt unsicher, beinahe ängstlich, obwohl ich mir nicht sicher bin, wovor sie sich fürchtet. Der Rothaarige starrt mich feindselig an. Dann faßt sie sich mit Mühe, und die Furcht, die ich zuvor in ihren Augen gesehen hatte, ist verschwunden.
    »Ich bin mir sicher, daß in diesem Ort genug Platz für uns beide ist«, sagt sie ruhig. »Wollen Sie wirklich keine Tasse Schokolade? Ich könnte Ihnen erklären, was ich –«
    Ich schüttele heftig den Kopf, wie ein Hund, der von einemSchwarm Wespen attackiert wird. Ihre Ruhe macht mich rasend, in meinem Kopf beginnt es zu summen, und es kommt mir so vor, als würde sich der ganze Raum um mich herum drehen. Der süße Schokoladenduft raubt mir den Verstand. Meine Sinne sind plötzlich auf unnatürliche Weise geschärft; ich rieche ihr Parfüm, einen Hauch von Lavendel, den Duft ihrer Haut. Hinter ihr schwebt eine andere Duftwolke, der Geruch nach Sumpf, nach Maschinenöl und Schweiß und Farbe, den der Rothaarige ausdünstet.
    »Ich … nein … ich …« Es ist wie ein Alptraum, ich habe vergessen, was ich sagen wollte. Irgend etwas über Respekt, glaube ich, über Verantwortung der Gemeinde gegenüber. Über die Pflicht, an einem Strang zu ziehen, über Rechtschaffenheit, Anstand und Moral. Statt dessen ringe ich nach Luft, und alles schwimmt in meinem Kopf.
    »Ich … ich …« Ich bin mir sicher, daß sie das alles bewirkt, daß sie mir den Verstand vernebelt … Sie beugt sich mit gespielter Besorgnis vor, und erneut überwältigt mich ihr Duft.
    »Geht es Ihnen nicht gut?« Ich höre ihre Stimme wie aus weiter Ferne. »Monsieur Reynaud, geht es Ihnen nicht gut?«
    Mit zitternden Händen stoße ich sie fort.
    »Es ist nichts.« Endlich finde ich meine Sprache wieder. »Eine … leichte Unpäßlichkeit. Nichts weiter. Guten Tag.« Und dann stürze ich blindlings auf die Tür zu. Mein Gesicht streift ein rotes Säckchen, das im Türrahmen baumelt – ein weiterer Beweis für ihren Aberglauben –, und ich kann mich des absurden Eindrucks nicht erwehren, daß dieses lächerliche Ding mein Unbehagen ausgelöst hat, ein Säckchen voller Kräuter und Knochen, das dort aufgehängt wurde, um mir meinen Seelenfrieden zu rauben. Nach Luft ringend stürze ich auf die Straße.
    Kaum bin ich in den Regen hinausgetreten, bin ich wieder bei klarem Verstand. Aber ich gehe weiter und weiter.Ich bin immer weitergegangen, bis zu Ihnen, Vater. Mein Herz klopfte wie wild, und der Schweiß lief mir in Strömen über den Rücken, aber endlich fühlte ich mich von ihrer Gegenwart gereinigt. Ist es das, was Sie gefühlt haben, mon père , damals in der alten Kanzlei? Ist das das Gesicht der Versuchung?
    Der Löwenzahn breitet sich aus, seine bitteren Blätter durchbrechen die schwarze Erde, seine weißen Wurzeln fressen sich tief ins Erdreich hinein. Bald wird er blühen. Auf dem Heimweg werde

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