Chocolat
versetzte mir einen Stich. »Und machen Sie sich keine Sorgen um mich. Ich komme schon zurecht. Ganz bestimmt.« Wieder dieses gequälte Lächeln. Als sie an mir vorbei zur Tür ging, sah ich etwas Glänzendes in ihrer Hand und bemerkte, daß ihre Manteltaschen mit Modeschmuck gefüllt waren. Armreifen, Halsketten, Ringe, alles ineinander verheddert.
»Hier, das ist für Sie«, sagte sie leichthin und hielt mir eine Handvoll ihrer kostbaren Beute hin. »Nehmen Sie es ruhig. Ich hab noch mehr davon.« Dann drehte sie sich mit einem strahlenden Lächeln um und ließ mich mit den Ketten und Ohrringen und bunten Plastikperlen stehen, die zwischen meinen Fingern hervorquollen.
Später am Nachmittag machte ich mit Anouk einen Spaziergang zum Flußufer hinunter. Die kleine Flotte der fahrenden Leute wirkte fröhlich im hellen Sonnenlicht, Wäsche flatterte an zwischen den Booten gespannten Leinen, und die Sonne spiegelte sich in den Fenstern und den bunt angestrichenen Wänden. Armande saß in ihrem umzäunten Vorgarten in einem Schaukelstuhl und schaute auf den Fluß hinaus. Roux und Mamhed kraxelten auf dem steilen Dach herum und befestigten lose Dachpfannen. Ich bemerkte, daß die verrotteten Dachsimse und Giebelwände ersetzt und leuchtend gelb gestrichen worden waren. Ich winkte den beiden Männern zu und setzte mich auf die Gartenmauer zu Armande, während Anouk zum Ufer hinunterrannte, um ihre neuen Freunde zu besuchen.
Die alte Frau wirkte müde, und ihr Gesicht unter der breiten Hutkrempe war leicht aufgedunsen. Ihre Handarbeit lagunberührt auf ihrem Schoß. Sie nickte mir zu, sagte jedoch nichts. Ihr Stuhl schaukelte fast unmerklich, tick-tick-tick , auf dem Gartenweg. Ihre Katze schlief zusammengerollt zu ihren Füßen.
»Caro war heute morgen hier«, sagte sie schließlich. »Ich nehme an, ich müßte mich eigentlich geehrt fühlen.« Eine unwillige Kopfbewegung.
Schaukeln.
Tick-tick-tick-tick .
»Für wen hält die sich eigentlich?« raunzte sie unvermittelt. »Marie-Antoinette?« Eine Weile versank sie in wütendes Grübeln, ihr Schaukeln wurde heftiger. »Bildet sich ein, sie könnte mir Vorschriften machen. Schleppt mir ihren Arzt ins Haus –« Sie unterbrach sich und starrte mich durchdringend wie ein Raubvogel an. »Mischt sich in meine Angelegenheiten ein. Das hat sie schon immer versucht, wissen Sie. Ihrem Vater hat sie sonstwas erzählt.« Sie lachte kurz auf. »Jedenfalls hat sie das nicht von mir«, erklärte sie nachdrücklich. »Da können Sie Gift drauf nehmen. Ich hab in meinem ganzen Leben keinen Arzt gebraucht – und auch keinen Priester –, der mir gesagt hat, was ich tun und lassen soll.«
Armande reckte ihr Kinn vor und schaukelte noch energischer.
»Ist Luc hiergewesen?« fragte ich.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Er ist zu einem Schachturnier in Agen gefahren.« Ihr starrer Blick wurde weicher. »Sie weiß nicht, daß er neulich im Laden war«, sagte sie zufrieden. »Und sie wird es auch nicht erfahren.« Sie lächelte. »Er ist ein guter Junge, mein Enkel. Er weiß, wann er den Mund halten muß.«
»Wie ich höre, wurden heute morgen in der Kirche unsere Namen genannt«, sagte ich. »Es heißt, man wirft uns vor, mit unerwünschten Elementen zu verkehren.«
Armande schnaubte verächtlich.
»Was ich in meinem eigenen Haus tue, geht niemandenetwas an«, sagte sie knapp. »Das hab ich Reynaud gesagt, und das hab ich damals auch Père Antoine gesagt. Aber die kapieren das einfach nicht. Kommen einem dauernd mit demselben Geschwätz. Gemeinschaftssinn. Traditionelle Werte. Ewig dieselbe Moralpredigt.«
»Sie haben das also schon mal erlebt?« Ich wurde neugierig.
»Allerdings.« Sie nickte nachdrücklich. »Vor Jahren. Reynaud muß damals etwa in Lucs Alter gewesen sein. Natürlich sind danach noch mehrmals fahrende Leute hiergewesen, aber sie sind nie geblieben. Jedenfalls bis jetzt nicht.« Sie schaute zu ihrem halb fertiggestrichenen Haus auf. »Es wird richtig schön, nicht wahr?« sagte sie zufrieden. »Roux sagt, bis heute abend werden sie es geschafft haben.« Plötzlich runzelte sie die Stirn. »Es geht keinen etwas an, ob ich ihn für mich arbeiten lasse«, erklärte sie gereizt. »Er ist ein ehrlicher Mann und ein guter Handwerker. Georges hat kein Recht, mir da reinzureden. Absolut kein Recht.«
Sie nahm ihre Handarbeit auf, legte sie jedoch wieder weg, ohne einen einzigen Stich getan zu haben.
»Ich kann mich nicht konzentrieren«, sagte sie verstimmt.
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