Chocolat
Sonntagsmänteln zerrte, mit plötzlicher Unverschämtheit unter Röcke fuhr und die kleine Herde über den Dorfplatz scheuchte.
Arnauld grinste mich im Vorbeigehen verlegen an; keine Champagnertrüffel heute morgen. Narcisse kam wie immer in den Laden, doch er war noch wortkarger als sonst, zog eine Zeitung aus seinem Tweedjackett und beugte sich lesend über seine Tasse. Eine Viertelstunde später war die Hälfteder Gemeinde immer noch in der Kirche, und ich nahm an, daß sie auf die Beichte warteten. Ich schenkte mir noch eine Tasse Schokolade ein und wartete. Sonntags kommt das Geschäft nur langsam in Gang. Da braucht man Geduld.
Plötzlich sah ich eine vertraute Gestalt in einem karierten Mantel durch die halboffene Kirchentür schlüpfen. Joséphine schaute sich nach allen Seiten um, und als sie sich vergewissert hatte, daß niemand auf dem Dorfplatz war, kam sie auf den Laden zugelaufen. Als sie Narcisse auf seinem Hocker sitzen sah, zögerte sie einen Moment. Dann trat sie ein, die Fäuste schützend in die Magengegend gedrückt.
»Ich kann nicht bleiben«, sagte sie ohne zu grüßen. »Paul ist gerade bei der Beichte. Ich hab nur zwei Minuten.« Ihre Stimme klang gehetzt, die Worte purzelten aus ihrem Mund wie Dominosteine.
»Sie müssen sich von diesen Leuten fernhalten«, sagte sie. »Von diesen Zigeunern. Sie müssen ihnen sagen, sie sollen weiterziehen. Sie müssen sie warnen .« Ihr Gesicht war angespannt, und sie rang nervös die Hände.
Ich schaute sie an.
»Joséphine, bitte, nehmen Sie Platz. Ich mache Ihnen eine Schokolade.«
»Nein, das geht nicht!« Sie schüttelte heftig den Kopf, und ihr vom Wind zerzaustes Haar fiel ihr ins Gesicht. »Ich hab Ihnen doch gesagt, ich hab keine Zeit. Tun Sie einfach, was ich Ihnen sage. Bitte.« Sie klang gehetzt und erschöpft und schaute immer wieder zur Kirche hinüber, als fürchtete sie, bei mir gesehen zu werden.
»Er hat in seiner Predigt gegen diese Leute gewettert«, sagte sie hastig und leise. »Und gegen Sie. Er spricht über Sie. Verbreitet Gerüchte über Sie.«
Ich zuckte gleichgültig die Achseln.
»Na und? Was kümmert mich das?«
Joséphine drückte sich frustriert die Fäuste an die Schläfen.
»Sie müssen sie warnen«, wiederholte sie. »Sagen Sieihnen, sie sollen weggehen. Und Sie müssen Armande warnen. Sagen Sie ihr, er hat heute in der Kirche ihren Namen vorgelesen. Und Ihren auch. Und meinen wird er auch vorlesen, wenn er mich hier sieht, und Paul –«
»Ich verstehe nicht recht, Joséphine. Was kann er denn tun? Und warum sollten wir uns um sein Gerede kümmern?«
»Sagen Sie es ihnen einfach, ja?« Ihr Blick schoß wieder ängstlich zur Kirche hinüber. Ein paar Leute traten gerade aus der Tür. »Ich kann nicht länger bleiben«, sagte sie. »Ich muß weg.« Sie wandte sich zum Gehen.
»Joséphine, warten Sie –«
Als sie sich umdrehte, war ihr Gesicht ein Abbild des Grams. Ich sah, daß sie den Tränen nahe war.
»Das passiert jedesmal«, sagte sie mit rauher, unglücklicher Stimme. »Wenn ich mal ein Freundin finde, macht er mir alles kaputt. Es wird so kommen wie immer. Und dann werden Sie längst fort sein, aber ich …«
Ich trat einen Schritt auf sie zu, wollte sie in den Arm nehmen. Aber Joséphine wich mit einer unbeholfenen Abwehrgeste zurück.
»Nein! Ich kann nicht! Ich weiß, Sie meinen es gut, aber ich kann einfach nicht !« Sie riß sich mit Mühe zusammen. »Sie müssen das verstehen. Ich lebe hier. Ich muß hier leben. Sie sind frei, Sie können gehen, wohin Sie wollen –«
»Sie auch«, unterbrach ich sie sanft.
Sie schaute mich an und berührte meine Schulter ganz leicht mit den Fingerspitzen.
»Das verstehen Sie nicht«, sagte sie ohne Vorwurf. »Sie sind anders. Eine Zeitlang dachte ich, ich könnte auch lernen, anders zu sein.«
Die Erregung war mit einemmal von ihr gewichen, und sie starrte geistesabwesend ins Leere, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben.
»Es tut mir leid, Vianne«, sagte sie. »Ich hab’s wirklich versucht. Ich weiß, es ist nicht Ihre Schuld.« Einen Augenblick lang verrieten ihre Züge wieder ängstliche Erregung.»Reden Sie mit den Leuten vom Fluß«, sagte sie eindringlich. »Sagen Sie ihnen, sie müssen verschwinden. Es ist nicht ihre Schuld, aber ich will nicht, daß jemandem etwas zustößt«, schloß Joséphine leise. »In Ordnung?«
Ich zuckte die Achseln.
»Es wird niemandem etwas zustoßen«, sagte ich.
»Gut.« Ihr gezwungenes Lächeln
Weitere Kostenlose Bücher