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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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herrschte klares Wetter, und unser Atem bildete weiße Wölkchen in der stillen Abendluft. Über dem Fluß lag eine dünne Nebelschicht, die hier und da von den Lichtern auf den Booten erleuchtet wurde.
    »Pantoufle will auch was davon«, sagte Anouk und deutete auf den Topf mit dem Glühwein. Roux grinste.
    »Pantoufle?«
    »Anouks Kaninchen«, erkläre ich ihm. »Ihr … imaginärer kleiner Freund.«
    »Ich weiß nicht recht, ob Pantoufle das schmecken würde«, sagte er. »Sollen wir ihm vielleicht lieber etwas Apfelsaft geben?«
    »Ich frag ihn mal«, erwiderte Anouk.
    Roux wirkte hier ganz anders, wesentlich ungezwungener, wie er da im Feuerschein stand und seinen Grill überwachte. Es gab Flußkrebse, Sardinen, frische Maiskolben, Süßkartoffeln, Äpfel in Zucker gewälzt und in heißer Butter karamelisiert, dicke Pfannkuchen mit Honig. Wir aßen mit den Fingern von Blechtellern und tranken Cidre und Glühwein. Ein paar Kinder spielten mit Anouk am Flußufer. Später gesellte sich Armande zu uns und wärmte sich die Hände über dem Grill.
    »Wenn ich nur ein bißchen jünger wäre«, seufzte sie. »So etwas würde ich mir jeden Abend gefallen lassen.« Sie fischte eine Kartoffel aus der Glut und jonglierte damit zwischen beiden Händen, um sie abkühlen zu lassen. »Als Kind hab ich immer von so einem Leben geträumt. Ein Hausboot, lauter gute Freunde, jeden Abend eine Party …« Sie schaute Roux spitzbübisch an. »Ich glaube, ich werde einfach mit Ihnen durchbrennen«, sagte sie. »Ich hab schon immer eine Schwäche für rothaarige Männer gehabt. Ich mag zwar alt sein, aber ich wette, ich könnte Ihnen immer noch das eine oder andere beibringen.«
    Roux grinste. Heute abend war nicht die geringste Spur von Befangenheit an ihm zu entdecken. Gut gelaunt schenkte er Cidre und Glühwein aus, auf rührende Weise glücklich in seiner Rolle als Gastgeber. Er flirtete mit Armande, machte ihr die ausgefallensten Komplimente, bis sie schallend lachte. Er brachte Anouk bei, wie man flache Steine über das Wasser hüpfen läßt. Und schließlich zeigte er uns sein Boot, die kleine Küche, den Lagerraum mit dem Wassertank und den Vorratsregalen, die Schlafkabine mit dem Plexiglasdach.
    »Es war das reinste Wrack, als ich es gekauft habe«, erzählte er. »Ich hab es wieder in Ordnung gebracht, und jetzt ist es genausogut wie ein Haus an Land.« Er lächelte fast verlegen, als hätte er gerade ein kindisches Hobby eingestanden. »All die Arbeit, nur damit ich nachts im Bett das Wasser plätschern hören und die Sterne beobachten kann.«
    Anouk war begeistert.
    »Mir gefällt es«, erklärte sie. »Ich find es ganz toll! Und es ist überhaupt kein Schrott-, kein Schrott-, überhaupt nicht das, was Jeannots Mutter immer sagt.«
    »Ein Schrotthaufen«, sagte Roux sanft. Ich schaute erschrocken zu ihm auf, aber er lachte. »Nein, nein, wir sind gar nicht so schlecht, wie manche Leute glauben.«
    »Wir glauben überhaupt nicht, daß ihr schlecht seid!« rief Anouk empört.
    Roux zuckte die Achseln.
    Später wurde Musik gemacht, eine Flöte, eine Geige und ein paar aus leeren Konservendosen und Mülleimern improvisierte Trommeln. Anouk blies auf ihrer Plastiktrompete, und die Kinder tanzten so wild und so dicht am Flußufer, daß wir sie ermahnen mußten, nicht so nah am Wasser herumzutoben. Es war schon fast Mitternacht, als wir uns verabschiedeten, und obwohl ihr fast die Augen zufielen, protestierte Anouk heftig.
    »Keine Sorge«, sagte Roux. »Du kannst jederzeit wiederkommen.«
    Ich bedankte mich und nahm Anouk auf den Arm.
    »Es wäre mir eine Ehre.« Einen Augenblick lang meinte ich, Besorgnis in seinem Blick zu sehen, als er an mir vorbei den Hügel hinaufschaute. Eine Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen.
    »Was ist los?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Wahrscheinlich ist es nichts.«
    Es gibt nur wenige Straßenlaternen in Les Marauds . Eine gelbe Laterne vor dem Café de la République ist die einzige Beleuchtung in der schmalen Gasse, die den Hügelhinaufführt. Dahinter weitet sich die Avenue des Francs Bourgeois zu einer hell erleuchteten Allee aus. Noch einmal starrte er mit zusammengezogenen Augen angestrengt in die Dunkelheit.
    »Ich dachte nur, ich hätte jemanden den Hügel herunterkommen sehen, das ist alles. Aber ich habe mich wohl getäuscht.«
    Ich trug Anouk den Hügel hinauf. Hinter uns sanfte Musik. Zézette tanzte auf der Mole, und ihr Schatten huschte im Schein des nur noch schwach

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