Chocolat
verpestet von dem Gestank der Feuer, mit denen sie versuchten, die Krankheit abzuwehren. Zuerst gingen die Pferde ein, dann die Kühe, Ziegen und Hunde. Wir versuchten, sie in Schach zu halten, weigerten uns, ihnen Lebensmittel oder Wasser oder Medikamente zu verkaufen. Im Schlamm des Tannes auf Grund gelaufen, tranken sie Flaschenbier und Flußwasser. Ich erinnere mich noch, wie ich sie von Les Marauds aus beobachtete, gebeugte Gestalten, die abends still um ihre Lagerfeuer hockten, und wie ich jemanden – eine Frau oder ein Kind – vom dunklen Wasser her schluchzen hörte.
Einige Leute, Schwächlinge – unter ihnen Narcisse –, fingen an, von Nächstenliebe zu faseln. Von Mitleid. Aber Sie sind hart geblieben. Sie wußten, was Sie zu tun hatten.
In der Messe haben Sie die Namen derjenigen verlesen, die sich weigerten mitzumachen. Muscat – der alte Muscat, Pauls Vater – hat sie so lange vor dem Café verscheucht, bis sie Vernunft angenommen haben. Nachts gab es Prügeleien zwischen den Zigeunern und den Dorfbewohnern. Die Kirche wurde geschändet. Aber Sie sind standhaft geblieben.
Eines Tages sahen wir, wie sie versuchten, ihre Boote in tieferes Wasser zu ziehen. An manchen Stellen versanken sie bis an die Hüften in dem nassen Schlamm, versuchten, auf den schleimigen Steinen Halt zu finden. Einige hatten sich Taue wie Geschirr umgelegt und zogen die Boote, andere schoben von hinten. Als sie bemerkten, daß wir sie beobachteten, verfluchten sie uns mit ihren harten, heiseren Stimmen. Aber es dauerte noch weitere zwei Wochen, bis sie endlich abzogen und ihre ruinierten Boote zurückließen. Ein Feuer, haben Sie gesagt, Vater, ein Feuer, das der Säufer und die Schlampe, denen das Boot gehörte, unbeaufsichtigt gelassen hatten. Es breitete sich in der trockenen, elektrisierten Luft rasend schnell aus, bis der ganze Fluß in Flammen zu stehen schien. Ein Unfall.
Es gab Gerede; wie immer. Es hieß, Sie hätten das Unglück mit Ihren Predigten herausgefordert; Sie hätten dem alten Muscat und seinem Sohn, den beiden, die stets so fromm in der ersten Bank saßen und alles sahen und hörten, freundlich zugenickt, den beiden, die in jener Nacht nichts gesehen und gehört hatten. Vor allem jedoch war man erleichtert. Und als der Winter kam und der Tannes wieder mehr Wasser führte, versanken sogar die Wracks.
Ich bin heute morgen noch einmal hingegangen, Vater. Dieser Ort geht mir nicht aus dem Sinn. Es ist fast genauso wie vor zwanzig Jahren. Heimtückische Stille liegt über dem Fluß, eine Stimmung, die nichts Gutes ahnen läßt. ImVorbeigehen sehe ich, wie hinter schmutzigen Fensterscheiben Vorhänge bewegt werden. Dann meine ich, leises, anhaltendes Gelächter aus den Booten zu hören. Werde ich stark genug sein, Vater? Werde ich trotz meines guten Willens versagen?
Drei Wochen. Ich habe jetzt drei Wochen in der Wüste verbracht. Mittlerweile müßte ich von allen Schwächen und Unsicherheiten geläutert sein. Aber die Angst ist immer noch da. Letzte Nacht habe ich von ihr geträumt. Oh, es war kein wollüstiger Traum, vielmehr fühlte ich mich auf unbegreifliche Weise bedroht. Die Unruhe, die sie ins Dorf bringt, ist es, was mich so umtreibt. Diese Wildheit.
Joline Drou sagt, ihre Tochter sei auch schlecht. Sie treibe sich in Les Marauds herum, praktiziere heidnische Riten, verbreite Aberglauben. Joline sagt, das Kind sei noch nie in der Kirche gewesen, habe nie zu beten gelernt. Wenn sie der Kleinen von Ostern und der Auferstehung erzählt, plappere sie irgendwelchen heidnischen Unsinn. Und dann dieses Fest; in jedem Schaufenster hängt inzwischen eins von ihren Plakaten. Die Kinder sind jetzt schon vor Aufregung ganz aus dem Häuschen.
»Lassen Sie sie doch, Vater, man ist nur einmal jung«, sagt Georges Clairmont verständnisvoll, während seine Frau ihre gezupften Brauen hebt und mich neckisch anschaut.
»Es kann doch wirklich nichts schaden«, sagt sie mit einem affektierten Lächeln. Ich habe den Verdacht, daß sie nur deswegen so nachsichtig sind, weil ihr Sohn für das Fest Interesse zeigt. »Und alles, was die Osterbotschaft bekräftigt …«
Ich versuche erst gar nicht, ihnen begreiflich zu machen, worum es mir geht. Gegen ein Kinderfest zu Felde zu ziehen bedeutet, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Narcisse macht sich bereits lustig über meinen Anti-Schokoladen-Kreuzzug , begleitet von hämischem Gekicher. Aber es wurmt mich. Daß sie sich eines Kirchenfestes bedient, um die
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