Chocolat
einem Lächeln, das fast schmerzhaft wirkte. »Zumindest hätte ich uns die vergangene Nacht ersparen sollen.«
Ich wußte nicht, was ich ihm sagen sollte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß ich gar nichts zu sagen brauchte. Er wollte einfach nur reden. Ich verzichtete auf die üblichen Klischees und sagte nichts. Guillaume aß seinen Florentiner auf und lächelte matt.
»Es ist schrecklich«, sagte er geistesabwesend, »aber ich habe einen solchen Appetit. Es ist, als hätte ich seit Wochen nichts gegessen. Gerade habe ich meinen Hund begraben, und jetzt könnte ich essen wie –« Er brach verwirrt ab. »Irgendwie kommt es mir so unrecht vor«, sagte er schuldbewußt. »Als würde ich am Karfreitag Fleisch essen.«
Armande mußte lachen und legte Guillaume eine Hand auf die Schulter. Neben ihm wirkte sie regelrecht fit und gesund.
»Sie kommen jetzt mit zu mir!« befahl sie. »Ich habe Brot und rillettes und einen guten, reifen Camembert. Oh, und Vianne« – mit einer gebieterischen Geste an mich gewandt –, »ich nehme noch eine Schachtel von diesen Schokoladenkeksen. Wie heißen die gleich? Florentiner? Eine schöne, große Schachtel.«
Wenigstens das kann ich ihm geben. Auch wenn es für einen Mann, der gerade seinen besten Freund verloren hat, ein schwacher Trost ist. Heimlich machte ich mit der Fingerspitze ein Zeichen auf die Schachtel. Es sollte ihm Glück bringen.
Guillaume wollte protestieren, aber Armande schnitt ihm das Wort ab.
»Quatsch!« sagte sie kategorisch. Unwillkürlich übertrug sich ihre Energie auf den kleinen müden Mann. »Was wollen Sie denn sonst tun? Zu Hause rumsitzen und Trübsal blasen?« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Ich habe schon lange keinen Herrenbesuch mehr gehabt. Ich werde es genießen. Außerdem«, fügte sie nachdenklich hinzu, »gibt es etwas, worüber ich gern mit Ihnen reden würde.«
Armande bekommt ihren Willen. Es ist beinahe ein Gesetz. Ich beobachtete die beiden, während ich die Schachtel Florentiner einwickelte und mit einer silbernen Schleife zuband. Guillaume war von ihrer Herzlichkeit überwältigt, er war verwirrt und dankbar zugleich.
»Madame Voizin –«
»Armande«, unterbrach sie ihn bestimmt. »Wenn Sie mich Madame nennen, komme ich mir so alt vor.«
»Armande.«
Es ist ein kleiner Sieg.
»Und das können Sie auch gleich hierlassen.« Vorsichtig nestelte sie die Hundeleine von Guillaumes Handgelenk. Sie ist auf eine ruppige Art mitfühlend, ohne gönnerhaft zu werden. »Es bringt nichts, unnötigen Ballast mit sich herumzuschleppen. Das ändert auch nichts.«
Ich sehe zu, wie sie Guillaume aus der Tür bugsiert. Beim Hinausgehen dreht sie sich noch einmal um und zwinkert mir zu. Eine Welle der Zuneigung für die beiden steigt in mir auf.
Dann verschwinden sie in der Nacht.
Stunden später liegen Anouk und ich im Bett und schauen in den Sternenhimmel über unserem Dachfenster. Nach Guillaumes Besuch war Anouk den ganzen Abend sehr ernst, ohne ihre übliche Ausgelassenheit. Sie hat die Tür zwischen unseren Zimmern offengelassen, und ich warte bedrückt auf die unvermeidliche Frage; ich habe sie mir selbst oft gestellt, in den Nächten, nachdem meine Mutter gestorben war, und habe keine Antwort gefunden. Doch die Frage kommt nicht. Statt dessen krabbelt sie, obwohl ich dachte, sie schliefe schon lange, unter meine Decke und schiebt ihre kleine kalte Hand in meine.
»Maman?« Sie weiß, ich bin noch wach. »Nicht wahr, du stirbst nicht?«
Ich lache leise in der Dunkelheit.
»Das kann niemand versprechen«, sage ich sanft.
»Aber du stirbst noch lange nicht«, beharrt sie. »Noch ganz, ganz lange nicht.«
»Das hoffe ich.«
»Hm.« Das muß sie erst einmal verdauen. Sie kuschelt sich noch dichter an mich. »Menschen leben länger als Hunde, nicht wahr?«
Ich bestätige, daß das stimmt. Wieder Schweigen.
»Was glaubst du, wo Charly jetzt ist, Maman?«
Ich könnte ihr Lügenmärchen erzählen; tröstliche Lügenmärchen. Aber ich bringe es nicht fertig.
»Ich weiß es nicht, Nanou. Ich stelle mir gern vor, daß wir wiedergeboren werden. In einem neuen, gesunden Körper. Oder als Vogel oder als Baum. Aber niemand weiß das genau.«
»Hm.« Zweifel klingt in ihrer Stimme mit. »Hunde auch?«
»Warum nicht.«
Es ist eine angenehme Vorstellung. Manchmal verliere ich mich in ihr wie ein Kind in seinen Phantasiegeschichten; dann sehe ich meine Mutter in den lebhaften Zügen meiner kleinen Fremden …
Eifrig: »Dann
Weitere Kostenlose Bücher