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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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empfinde, ist Hilflosigkeit, denn soviel ich auch umgrabe und jäte und beschneide, das Unkraut ist immer schneller als ich, die grüne Armee füllt die Lücken hinter meinem Rücken, noch während ich arbeite, streckt ihre lange, grüne Zunge heraus zum Spott über meine Bemühungen. Narcisse beobachtet mich mit amüsierter Verachtung.
    »Sie sollten lieber anfangen zu pflanzen, Vater«, sagt er. »Füllen Sie die Lücken mit etwas, das Ihnen gefällt, sonst wird das Unkraut es für Sie tun.«
    Natürlich hat er recht. Ich habe hundert Pflanzen bei ihm bestellt, bescheidene Gewächse, die ich in Reihen anordnen werde. Ich mag die weißen Begonien und die Zwerglilien und die blaßgelben Dahlien und die Osterglocken, die nicht duften, aber so schöne, gekräuselte Blüten haben. Sie sind hübsch, aber sie wuchern nicht, hat Narcisse mir versichert. Von Menschenhand gezähmte Natur.
    Vianne Rocher kommt herüber, um meine Arbeit zu begutachten. Ich beachte sie nicht. Sie trägt einen türkisfarbenen Pullover und Jeans und kurze, weinrote Wildlederstiefel. Ihr Haar flattert im Wind wie eine Piratenflagge.
    »Sie haben einen schönen Garten«, sagt sie. Mit einerHand fährt sie über die Pflanzen; dann macht sie eine Faust und bringt den geballten Duft an ihre Nase.
    »So viele Kräuter«, sagt sie. »Zitronenmelisse und Minze und Salbei –«
    »Ich kenne ihre Namen nicht«, erwidere ich schroff. »Ich bin kein Gärtner. Außerdem ist das alles nur Unkraut.«
    »Ich mag Unkraut.«
    Natürlich. Der Unmut ließ meinen Puls schneller gehen – oder lag es am Duft? Als ich mich inmitten von kniehohem Gras aufrichtete, knackten meine Lendenwirbel infolge der ruckartigen Bewegung.
    »Sagen Sie mir eins, Mademoiselle.«
    Sie schaute mich lächelnd an.
    »Sagen Sie mir, was Sie damit bezwecken, daß Sie meine Gemeindemitglieder dazu anstacheln, ihr Leben zu entwurzeln, ihre Sicherheit aufzugeben –«
    Sie sah mich verblüfft an.
    »Entwurzeln?« Sie warf einen Blick auf den Berg Unkraut am Wegrand.
    »Ich spreche von Joséphine Muscat«, raunzte ich.
    »Ach so.« Sie pflückte einen Zweig Lavendel. »Sie war unglücklich.«
    Sie schien anzunehmen, das würde alles erklären.
    »Und jetzt, wo sie ihr Ehegelübde gebrochen, alles zurückgelassen hat, was sie besaß, jetzt, wo sie ihr altes Leben aufgegeben hat, glauben Sie, wird sie glücklicher sein?«
    »Natürlich.«
    »Eine feine Philosophie«, höhnte ich, »falls Sie nicht an die Sünde glauben.«
    Sie lachte.
    »Das tue ich nicht«, erwiderte sie. »Ich glaube überhaupt nicht daran.«
    »Dann bedaure ich Ihr armes Kind«, sagte ich beißend. »Ohne Gott und ohne Moral aufzuwachsen.«
    Sie schaute mich nachdenklich mit zusammengekniffenen Augen an.
    »Anouk weiß, was Gut und Böse ist«, entgegnete sie, und da wußte ich, daß ich endlich zu ihr vorgedrungen war. Ein kleiner Punkt für mich. »Was Gott betrifft –« Sie brach den Satz ab. »Ich glaube nicht, daß dieser weiße Kragen Ihnen das Alleinrecht auf den Zugang zu Gott gibt«, sagte sie etwas freundlicher. »Ich denke, es ist Platz genug da für uns beide, meinen Sie nicht?«
    Ich ließ mich zu keiner Antwort herab. Ihre gespielte Toleranz ist allzu fadenscheinig.
    »Wenn Sie wirklich die Absicht haben, Gutes zu tun«, erklärte ich ihr würdevoll, »sollten Sie Madame Muscat zureden, sich ihre voreilige Entscheidung noch einmal zu überlegen. Und Armande Voizin zur Vernunft bringen.«
    »Vernunft?« Sie tat so, als verstünde sie nicht, aber sie wußte genau, was ich meinte.
    Ich wiederholte noch einmal, was ich bereits diesem Wachhund gesagt hatte. Armande sei alt, erklärte ich ihr. Eigensinnig und störrisch. Aber Menschen ihrer Generation seien wenig aufgeklärt in medizinischen Dingen. Armande begreife nicht, wie wichtig es ist, eine Diät einzuhalten und Medikamente regelmäßig einzunehmen – sie weigere sich hartnäckig, den Tatsachen ins Auge zu sehen –
    »Aber Armande ist glücklich und zufrieden.« Ihre Stimme klang beinahe vernünftig. »Sie will ihr Haus nicht aufgeben und in ein Altenheim ziehen. Sie will in ihren eigenen vier Wänden sterben.«
    »Dazu hat sie kein Recht!« Ich hörte meine Stimme wie eine Peitsche über den Platz knallen. »Diese Entscheidung steht ihr nicht zu. Wer weiß, wie lange sie noch lebt, womöglich noch zehn Jahre –«
    »Das kann gut sein«, sagte sie mit ironischem Unterton. »Sie ist immer noch sehr agil, geistig fit, unabhängig –«
    » Unabhängig!

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