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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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wie sie es sich vorstellte, schloß ihn jedoch wieder.
    »Schauen Sie mich nicht so an.« Armande knuffte mich aufmunternd mit dem Ellbogen. »Nach einem fünfgängigen Menü will man Kaffee und Likör, stimmt’s? Da hat man doch keine Lust, das Festmahl mit einer Schüssel Haferschleim zu krönen, oder? Nur damit man noch einen Gang kriegt.«
    »Armande –«
    »Unterbrechen Sie mich nicht.« Ihre Augen leuchteten. »Was ich sagen will, ist, man muß wissen, wann man aufzuhören hat, Vianne. Man muß wissen, wann man den Teller wegschieben und den Likör bestellen muß. In vierzehn Tagen werde ich einundachtzig –«
    »Das ist doch kein Alter«, platzte ich heraus. »Ich kann es nicht fassen, daß Sie einfach so aufgeben wollen!«
    Sie sah mich an.
    »Dabei sind Sie es doch gewesen, nicht wahr, die Guillaume gesagt hat, er soll Charly seine Würde lassen.«
    »Sie sind doch kein Hund!« erwiderte ich ärgerlich.
    »Nein«, sagte Armande leise. »Und ich kann selbst für mich entscheiden.«
    New York ist eine unwirtliche Stadt, trotz all ihrer glitzernden Verlockungen; bitterkalt im Winter und drückend heiß im Sommer. Nach drei Monaten hat sogar der Lärm etwas Vertrautes, man nimmt ihn nicht mehr wahr; Motorengedröhn, menschliche Stimmen, Taxihupen verschmelzen zu einer Geräuschkulisse, die wie Nieselregen über der Stadt liegt. Sie kam aus einem Deli mit unserem Mittagessen in einer braunen Papiertüte in den vor der Brust verschränkten Armen; ich lief ihr entgegen, unsere Blicke begegneten sich über die stark befahrene Straße hinweg, hinter ihr ein Plakat mit einer Marlboro-Reklame; ein Mann vor rötlichen Felsen im Hintergrund … Ich sah es kommen. Öffnete meinen Mund, um ihr etwas zuzurufen, sie zu warnen … Erstarrte. Eine Sekunde lang, mehr nicht, eine einzige Sekunde. War es die Angst, die mir die Zunge lähmte? War es einfach die Trägheit des Körpers, der sich mit einer plötzlichen Gefahr konfrontiert sieht, die Ewigkeit, die der Körper braucht, um zu reagieren, nachdem der Gedanke das Gehirn erreicht hat? Oder war es Hoffnung, die Art von Hoffnung, die entsteht, wenn alle Träume zerplatzt sind und nichts geblieben ist als die Anstrengung, die es kostet, den Anschein zu wahren?
    Natürlich, Maman, natürlich fahren wir nach Florida. Ganz bestimmt .
    Ihr Gesicht, zu einem Lächeln erstarrt, in ihren Augen ein viel zu helles Leuchten, so hell wie das Feuerwerk am vierten Juli.
    Was würde ich tun? Was würde ich bloß tun, wenn ich dich nicht hätte?
    Ist schon gut, Maman. Wir schaffen es. Ich verspreche es dir. Verlaß dich auf mich .
    Der Schwarze Mann steht da und schaut ruhig zu, seine zuckenden Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen, und während dieser endlosen Sekunde begreife ich, daß es Schlimmeres gibt, viel Schlimmeres als den Tod. Dann ist die Lähmung vorbei, und ich beginne zu schreien, aber derWarnruf kommt zu spät. Sie wendet sich mir zu, ein Lächeln bildet sich auf ihren bleichen Lippen – Was gibt’s, Liebes?  –, und der Schrei wird vom Kreischen der Bremsen verschluckt …
    » Florida! « Es klingt wie ein Frauenname, der über die Straße hallt, die junge Frau rennt quer durch den Verkehr, läßt ihre Tüten mit den Einkäufen fallen – ein paar Lebensmittel, eine Tüte Milch –, ihr Gesicht verzerrt. Es klingt wie ein Name, als hieße die ältere Frau, die da auf der Straße stirbt, Florida , und sie ist tot, bevor ich sie erreiche, ganz still und undramatisch, so daß es mir beinahe peinlich ist, daß ich so ein Aufhebens darum mache. Eine dicke Frau in einem rosafarbenen Trainingsanzug legt ihre fleischigen Arme um mich, und was ich vor allem empfinde ist Erleichterung, wie aus einer aufgeschnittenen Eiterbeule laufen mir Tränen der Erleichterung über die Wangen, bittere Erleichterung darüber, daß ich endlich am Ende angekommen bin. Unversehrt am Ende angekommen, oder zumindest beinahe unversehrt.
    »Weinen Sie nicht«, sagte Armande sanft. »Sie sind es doch, nicht wahr, die immer sagt, Glück ist das einzige, was zählt?«
    Verblüfft stellte ich fest, daß mein Gesicht naß war.
    »Außerdem brauche ich Ihre Hilfe.« Pragmatisch wie immer, reichte sie mir ein Taschentuch. Es duftete nach Lavendel. »Ich werde an meinem Geburtstag eine Party geben«, verkündete sie. »Lucs Idee. Kosten spielen keine Rolle. Ich möchte, daß Sie für das Buffet sorgen.«
    »Was?« Ich war verwirrt von diesem Wechselbad zwischen Tod, Festessen und wieder Tod.
    »Der

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