Cholerabrunnen
hier in der Kabine des großen Lkw der Fa. Heber GbR, deren Existenz derzeit für Eingeweihte ziemlich mysteriös anmuten muss, werden sie hin und her geschleudert. Dann hebt ein Ordner den Arm und Mauersberger kurbelt das Fenster herunter.
„Wohin?“
Er zeigt nur die Karte mit dem Kreuz. Der Mann, kaum zwanzig sicher, schüttelt nur den Kopf.
„Heute doch nicht!“
Mauersberger nickt aber und reicht die Genehmigung herunter.
„Verzug kann sich niemand leisten!“
Der junge Mann nickt nur und winkt, ruft noch im Nachsatz, dass sie sicher nur am besten Platz stehen wollen, um die Videowand gut im Auge zu haben. Nun raunt Schnittge seinem Fahrer zu, dass es doch hoffentlich nicht auch noch Kameras auf dem Platz gibt, doch Rolf Mauersberger zeigt völlig ruhig vor sie und dann auch noch nach links und rechts.
„Überall sind welche. Sieh doch… die nehmen das alles auf. Und wenn wir Glück haben, werden wir so für die Ewigkeit mit festgehalten, kommen auch noch auf das nächste Video!“
Nein, bloß das nicht noch! Schnittge kennt diese Vermarktung der Kirche. Man sagt, die würden so weitermachen und versuchen, den Erhalt und damit verbundene Kosten auch noch einzunehmen. Dazu sollen in den nächsten Jahren weitere Uhren, Bücher und sonstige Dinge erscheinen. Nun natürlich ein Video aus der Aufbaureihe, auf dem man sich dann zufrieden ansehen kann, das die Gelder sinnvoll angelegt wurden, also die Kirche wirklich bis zur Weihe wieder erstand. Aber…
„Wenn man uns darauf bringt, sind wir geliefert!“
Mauersberger lacht nur.
„Glaubst Du wirklich, die trauen uns solch einen Coup zu? Dann, mein Freund, hätten die uns doch schon lange festgenommen. Darauf kannst Du Einen lassen!“
Wo ist das zurückhaltende, fast feine Gehabe des Mannes nur geblieben, dem er damals in den Neunzigern vertraute, denkt der ehemalige Honorarkonsul und lässt einige Bilder der ersten Zeit hier in Dresden durch seine Sinne wandern. Doch er kommt nicht weit. Schon erreichen sie den rechten Ort.
„Gut… los, los, Zelt aufbauen und Grabung beginnen… das muss jetzt aber losgehen!“
Heber ist nicht dabei. Er liegt krank im Bett. Wirklich. Verhob sich und kämpft nun mit einem unschönen, die Kräfte lähmenden Bandscheibenvorfall. Zwar meinte Mauersberger zu ihm, er könne auch nur dasitzen, doch als er schließlich erlebte, wie Heber sich kaum in die sitzende Haltung hochquälen konnte… und das gar mit einem Korsett, das doch eben dies ermöglichen sollte, sah er schnell davon ab. Und gut, die Arbeiter reichen. Sie werden… es schaffen!
Weinert sitzt vor dem Fernseher. Solche Massenaufläufe sind nichts für ihn. Er mag Menschen nicht. Besonders nicht, seit Engelhardt ihm solch einen langen Vortrag über Dresden und seine eigene Dummheit hielt. Der Kerl stürzt auch noch! Er ist sich sicher.
Weihe. Diese Kirche… wenn die nicht währe, hätte auch niemand nach dem Markt gekräht… und er wäre sicher nicht einmal auf die Idee gekommen, die alten Mutschmann-Tresore auszubuddeln. Na ja, eigentlich hat er nur einen. Und den auch nur, weil ihn Spezialtaucher seiner Widersacher anschlugen und er nur noch zugreifen musste, als man sie verjagte. Dumme Kerle! Die Bullen… hätten gar nicht begriffen, worum es geht. Den Behringer konnte er sicher damals schon nicht leiden, aber der schaffte es eben, dass er freie Bahn bekam.
Massen… er schaut auf die vielen Köpfe um die Kirche herum. Eben erklingen Glocken und eine salbungsvolle Stimme redet ewig von Frieden und Völkerverständigung, dass man nicht nur, wie nach der Wende und der Flut, stets zusammenrücken sollte und sich damit gegenseitig Mut macht.
Mut… er verliert ihn langsam, denn…
Halt, was war denn das…? Dieses Logo, diese Firma… ja, das ist bekannt. Heber. Heber GbR sogar. Was macht denn ein Lkw von denen auf der Feier? Hat der Kerl immer noch nicht genug? Soll er dafür sorgen, dass dessen völlig zu Unrecht wieder und wieder verlängerte Konzession endgültig futsch und fort ist? Na, eigentlich ging er davon aus, dass genau das schon geschah… Hmm… er begreift es einfach nicht.
Weiter geht es. Das Loch wird größer und der Lärm draußen kann langsam nicht mehr anschwellen. Zumindest bersten Schnittge gleich die Trommelfelle. Mauersberger hat es gut. Der nahm sich Ohrenschützer mit. Neue auch noch. Die haben ein eingebautes Radio und der Funk klappt auch. Will der alte Mann noch einmal in die Tiefen hinunterklettern? Das wäre
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