Cholerabrunnen
mehr.
„So, wie sieht es aus? Sind Sie alle dabei?“
Schnittge schaut zu Mauersberger.
„Mann, können wir endlich mal dieses steife ‚Sie’ lassen? Da wollen wir den Coup unseres Lebens landen und dann reden wir miteinander, als wären wir bei einer Bank angestellt…“
Er grinst noch einmal.
„…na ja, ein wenig stimmt es sogar. Wenigstens, wenn wir wirklich noch was finden. Wer sagt uns eigentlich, dass diese Räumtrupps nicht schon vor dem Zuschütten zugriffen?“
Ihn trifft ein vernichtender Blick Mauersbergers und er ist still.
Veronika Wagner schaut zufrieden über ihren kleinen Garten. Gras wurde geschnitten und die Apfelbäume sehen dieses Jahr noch besser aus, als im Vorjahr. Vielleicht tragen sie nun endlich genießbarere Äpfel? Ihre Tochter schenkte ihr zum Fünfzigsten einen Strandkorb. Was man sich nicht alles in den Garten stellen kann! Jeder glaubt, sie bräuchte das Modernste und Neueste. Nun liegen da Wegsteine, die selbst leuchten, drehen sich kleine Windräder, die gleichzeitig als Pumpe für den Gartenteich fungieren, und die Figuren, die vielleicht daran erinnern wollen, dass man nicht alles dem Gärtner überlassen, sondern hin und wieder auch selbst etwas tun sollte, sind ebenfalls vorhanden. Nun lächelt sie. Ja, aber ihr Rücken lässt es nun einmal nicht zu. Da kann die Hacke den noch so ergonomischen Griff haben, sie sich auf höhenverstellbare Fußbänke hocken können… wenn es wehtut, ist es eben so und sie darf sich nicht auch noch gegen diese wenigen Vorschriften des Arztes wehren. Dann wäre sie wie ihr Vater. Der war immer schon unvernünftig und… nun hat er leider seine Quittung. Letztes Jahr starb er. Krebs. Ja, viele meinen, dagegen gebe es eh’ keine Rettung. Nur… bei einer frühen Erkennung… na ja, sie macht sich etwas vor. Er hätte die Angebote nutzen können, entschied sich jedoch bewusst für noch ein paar Wochen ohne Bestrahlung und Medikamente, lehnte nur die starken Schmerzmittel nicht ab und schlief schließlich zufrieden ein. Er habe alles erlebt, sagte er in einem Fort. Wie auch immer man diese Rede sehen und begreifen will.
Das Telefon klingelt. Sicher ihr Sohn. Der ist überfällig. Man sollte nicht immer nur warten, aber wenn er sich zwei Wochen nicht meldet, ist sie nun einmal… unruhig. Bei seinem Tun…
„Wagner… bitte?“
Sie lauscht. Erst ist die Männerstimme am anderen Ende nicht richtig zu verstehen. Sie fragt nach und man wiederholt noch einmal. Nein, denkt sie. Das ist ein Scherz… das kann einfach nicht sein. Noch einmal fragt sie nach, ob denn nicht vielleicht ein Irrtum…?
Der Hörer gleitet ihr fast aus der Hand. Sie fängt ihn noch auf und legt ihn ordentlich auf die Gabel des nostalgischen Telefons mit angeblich modernem Innenleben. Dann schaut sie lange auf den kleinen Tisch, bewegt sich kaum. Sabine kommt aus dem Haus. Seit sie mit ihrem Freund Schluss machte, wohnt sie wieder bei ihrer Mutter, die ihren Mann vor Jahren bei einem Unfall verlor.
„Alles in Ordnung?“
Veronika hört nichts, lässt sich schwer auf den Gartenstuhl fallen und stützt die Hände unters Kinn.
„Hallo, Mama? Ist alles in Ordnung?“
Aschfahl sieht Veronika aus.
„NEIN!“
Sie tobt und schlägt immer wieder gegen die Brust ihrer Mutter, kann sich nicht beruhigen. Veronika, gerade noch in sich selbst verloren, versucht, sich nun zu fangen, die ihr stets nachgesagte Stärke zu zeigen, ihre Tochter zu bändigen.
„Es war… war ein Revier. Die werden es schon wissen.“
Wohl ist ihr wirklich nicht bei ihren Worten. Marcus, ihr Sohn Marcus, das Nesthäkchen, der Nachzügler, der, dem alle im Familienverbund einfach alles gestatteten.
„Er darf nicht…“
Sabine kann keinen Satz vollständig herausbringen. Alles verschwimmt vor und in ihr. Diese Leere, die man manchen gefühlskalten Menschen nachsagt, greift mehr und mehr nach ihr.
„Irgendein Kollege von der Polizei wäre hierher unterwegs und würde noch ein paar Fragen… komm, wir trinken erst einmal einen Schnaps. Der wird uns gut tun!“
Sabine bemerkt davon nichts. Sie nickt zwar, doch das kann auch das Zittern in ihr sein. Sie wird es nicht mehr stoppen können, verliert immer mehr ihre Haltung, sitzt bald auf dem Boden. Veronika geht hinein, zur Bar. Sie ist kein Freund des Alkohols und wundert sich gar jetzt, dass sie sofort an einen Brandy dachte, als ihre Tochter auf den Boden sank. Verdammt, denkt sie… das ist ein mieser Tag! Dann schenkt sie zwei
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