Cholerabrunnen
Achtungszeichen. Seit der Wiederaufbau läuft, nun nach und nach die Außenhaut der Kirche wächst und damit auch das mobil gelagerte Dach über dem Baugeschehen angehoben wird, sind so viele Filmteams in der Stadt, dass es einem schon Angst werden kann. Aber wenn sie den Platz besetzen… wird das gleich weltweit übertragen.
„Ich glaube, das ist die einzige Alternative!“
Sein Partner lächelt, nickt dann.
„So gefällst Du mir schon viel besser… nicht so resignierend. Komm, wir fahren in die Zentrale. Noch haben wir zwei Monate. Weihnachten kommt auch noch. Und dann… gedenken wir ihm wieder, dem Tag der Zerstörung. Zu Weihnachten, ganz ehrlich, würde ich dort nichts beginnen. Da hast Du gleich alle möglichen Kirchenfürsten und Religionsfanatiker gegen Dich. Aber zum 13. Februar direkt… da liegen die Nerven blank, da denken viele entweder an die damaligen Tage oder die Erzählungen derer, die es erlebten. Dahinein passt das. Zerstörung der letzten Orte, an denen man noch trauern kann. Was meinst Du? Das wäre zumindest eine Idee.“
Engelhardt nickt zuversichtlich.
„So machen wir es. Ab in die Zentrale. Dort besprechen wir schon einmal die Grundidee. Und ganz nebenbei kann ich schon einmal eine Demonstration auf dem Neumarkt anmelden. Das gibt allem gleich noch einen ganz offiziellen Touch.“
Kerzen brennen, viele Blumen liegen wieder an der Baustelle. Die Bürger dürfen in diesem Jahr einmal nicht bis an die Kirche heran. Einige finden das nicht gut, andere, und das scheint die Mehrzahl aller zu sein, befürworten es, die Bürger und ihre Gäste nicht noch mehr Gefahren auszusetzen. Im Nachhinein der Besichtigung des Altars kam es schon zu einigem Schlagabtausch und wenige zwar, aber nicht überhörbare Kräfte schimpften auf den Unverstand, mit dem man so viele Menschen ohne wirklichen Schutz auf eine dermaßen große und damit auch unberechenbare Baustelle ließ.
„Alles war sicher. Wir hatten überall Mitarbeiter, die den Besuchern den Weg zeigten, darauf achteten, dass sie nicht fehltraten und so weiter. Da konnte nichts geschehen!“
Der Architekt der neu zu errichtenden Kirche sprach immer wieder von Unvernunft unter denen, die dieses Fest bewusst und vor allem erst nachträglich torpedierten. Die Fronten schienen verhärtet. Niemand achtet dabei auf die verschiedenen Vereinigungen zur Erinnerung an den 13. Februar 1945. Eher, weil sie recht ruhig auftraten und sich nicht in die Öffentlichkeit balancierten, indem sie große Töne spuckten, sondern eher mit den ganz leisen an den Tag erinnern wollten, nimmt man sie doch wieder wahr und viele sehen darin ein Beispiel, wie man es auch machen kann und gut dabei fährt.
Engelhardt steht am 12. Februar noch einmal am Platz. Niemand ahnt, was er vorhat. Viele Bolzenschneider wurden erworben, noch mehr Kerzen stehen bereit und dazu organisierte er noch eine Versorgung mit Imbiss und Getränken, dazu Toilettenhäuschen und verschiedene andere heute fast selbstverständliche Kleinigkeiten, die jedoch alle am Neumarkt nicht in Hülle und Fülle oder gar nicht vorhanden sind.
Ja, das wird sicher ein Erfolg, denkt er noch und steht sinnierend vor dem Loch, das dann wieder zugeschüttet wurde.
„Hallo Engelhardt, Sie hier?“
Er kennt diese Fistelstimme. Er hasst sie regelrecht und darf es doch nicht offen zeigen. Zu oft schon half ihm Weinert bei anderen Entscheidungen. Erst neulich, als der Schneesturm einen Teil seines privaten Hausdaches abdeckte… Weinert hatte sofort Leute, denen er schon wegen ihres Aussehens nicht unbedingt nachts begegnen wollte, aber sie schafften es, ohne dass sein Boden ganz volllief, alles wieder abzudichten. So kann er sich also nicht beklagen, muss in Weinert einen Freund oder zumindest einen hilfsbereiten Bekannten sehen. Auch wenn er dessen Ansichten gerade zu den Stunden des 13. Februars 1945 nicht, überhaupt nicht teilen kann.
„Ja, Herr Weinert. Morgen ist es wieder so weit. Auch schon vorbereitet? Kommen Sie zur Demonstration?“
Er bedauert schon seine Rede, denn sein Gegenüber schaut ihn an.
„Haben Sie was vor?“
Oh Mann, das klingt nicht gut. Zu zeitig zu viel verraten kann nur… na ja, kann nur ins Fiasko führen. Er schluckt.
„Nun, nur ein wenig Demo eben. Wir erinnern und halten ein paar Reden. Der Oberbürgermeister kommt. Der hat morgen natürlich viele Verpflichtungen, aber er sagte sich an… na ja, und dann eben die Presse. Ist doch gut, oder?“
Weinert schaut
Weitere Kostenlose Bücher