Cholerabrunnen
her…
Es ist ein schöner Morgen. Endlich einmal scheint wieder die Sonne und der Schirm, den Mauersberger gestern erst für Sabine und René aussuchte, kann im Hotel bleiben. Sie trauen dem Frieden jedoch nicht, sind vielleicht auch noch wegen der abendlichen Begegnung etwas durch den Wind und greifen nach dem ebenso als Wanderstock zu benutzenden Schutz gegen Wasser von oben.
In der Hotellobby spricht man von Fluten, die sich auf Dresden zubewegen. Eine Scheitelwelle soll schon auf der Deutschen Seite der Elbe angekommen sein und man vermutet eine mächtigere Überschwemmung, als sie die Stadt in den letzten Jahrzehnten erlebte. Natürlich, und das versuchen die Medien immer wieder herüberzubringen, muss eine Stadt am Strom stets mit Wasser und seinen Unartigkeiten leben, doch keiner glaubt an die Schreckensbilder, die die Meteorologen und die Aufsichtsbehörde des Umweltamtes für Flüsse und Bäche vorhersagen.
Sabine schüttelt nur den Kopf, als René einen Witz beim Frühstück macht. Er verschwepperte seinen Kaffee und nun spricht er von brauner Brühe, die eben doch schon da ist.
„Hör auf, ja? Ich weiß noch, dass Vater mit einmal erzählte, er erlebte ein Hochwasser. Was weiß ich, wo das war… aber seine Freunde verloren damals alles. Denkst Du, das ist in Ordnung?“
Er ist still und stiert nur noch auf seine gebratenen Würstchen und das Ei. Den Schinken nahm er nicht. Der triefte nur so vor Fett und er scheint etwas bewusster zu essen, seit er seine Freundin und baldige Frau kennt. Vielleicht auch, weil sie einmal meinte, ein Dicker könne mit Kindern nicht so gut spielen, wie ein normal gerundeter Mann. Der Dicke am Abend gab ihm noch den Rest und nun lässt er gar von der Wurst liegen, holt sich noch einen Joghurt. Sabine grinst zwar, sagt dazu aber lieber kein Wort. Sicher ist sicher.
Schließlich haben sie diese erste Mahlzeit des Tages hinter sich und schauen auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde haben sie. Dann wird Mauersberger vor der Tür warten. Haben sie wirklich Lust, mit ihm diesen Ort zu besuchen? Ganz sicher ist sich Sabine nicht. René jedoch macht, was sie will. Es geht schließlich, das musste er sich gestern oft genug sagen lassen, um ihren Bruder und sie fordert einfach eine Aufklärung, wenigstens aber das Gefühl, es ist nichts vergessen. Bei der Polizei stoßen sie da sicher auf taube Ohren. Dass Rolf Mauersberger ihnen hilft… na ja, vielleicht ist es auch nur Eigennutz. Schließlich wollte er damals etwas von ihnen, als er nach Westfalen kam und sie danach so taten, als hätten sie noch nie etwas von ihm gehört. Sie schauen sich an und nicken. Ja, sie werden ihm folgen. Er macht ihnen keine Angst. Nicht so zumindest, wie dieser dicke Kerl. Der schreckte dazu noch ab… René zumindest beim Essen.
„Und, alles klar?“
Behringer schaut auf Mira Bodenlöcher, die unermüdliche Kollegin der Spurensicherung, die schon wieder mit dem Koffer am Tatort sitzt und sich nicht einmal vom herrlichen Wetter stören lässt.
„Ja, sicher. Ich suche zwar noch ein paar Sachen, aber es sieht schon so aus, wie beschrieben. Leider.“
Bedeutet das jetzt, der Junge wurde wirklich gestoßen? Sie nickt. Dann schaut er über den Platz. Weiter drüben steht der Leichenwagen. Nein, man soll den anders nennen, aber für ihn ist er das immer noch.
Ein schöner Spielplatz. Erst vor ein paar Wochen gab es hier Windbruch und einige der Geräte gingen kaputt. Gleich gab es neben der ohnehin immer um den Platz bemühten Stiftung noch so viele Spenden, dass alles in Windeseile ersetzt werden konnte. Ein gutes Zeichen allemal, denkt er und geht ein Stück zu jenem Gerüst, von dem der Junge fiel.
Sven Dengler, sein ihm erst letzte Woche neu zugeteilter Assistent, steht mit einem Notebook an einem der besonders von Schulklassen gern genutzten Arbeitstische neben den kleinen Hütten am Platz und macht sich Notizen. Ein wenig muss Behringer schon schmunzeln. Alles nur mit Technik… er versucht, den alten Gewohnheiten treu zu bleiben, aber er sieht auch, dass diese jungen Leute nichts anderes gelehrt bekommen. Neue Zeiten? Er grinst noch einmal und tritt zu ihm, schaut auf das spiegelnde Display des kleinen Technikkastens. Diese Dinger, las er erst letztens auf ein paar frei zu gebenden Rechnungen, fressen einen Großteil des schmalen Etats der Polizeidirektion auf. Man spart derzeit an nichts und hat doch nichts zum Ausgeben. Teure Autos, Computer, Telefone… na ja, er kann es nicht
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