Cholerabrunnen
ändern. Die Entscheidungen fallen an anderer Stelle. Dafür streicht man Planstellen und irgendwann, er spürt es schon, irgendwann werden alle klagen, weil zu wenige Polizisten zur Verfügung stehen. Das ist sicher tragisch, aber auch dabei kann er nichts ändern… oder daran? Er schüttelt sich und liest noch einmal mühevoll den durch ungünstigen Lichteinfall kaum erkennbaren Text.
„Haben wir den Täter?“
Dengler nickt.
„Sitzt da hinten im Bus. Der ist total verschlossen und tut so, als tat er nichts… na ja, zumindest dringt wohl seine Schuld noch nicht bis zu ihm vor oder so. Schauen Sie ihn sich nur einmal an… der ist nicht… nicht ganz so helle!“
Nicht so helle. Ein junger Mann soll es sein. Kein Kind mehr, wie man in den ersten Meldungen noch verlauten ließ. Die Ermittlungen laufen und derzeit wartet man auf seinen Betreuer. Na toll…
„Sie sehen doch… er ist nicht zurechnungsfähig. Sie können da auf ihm herumhacken, wie immer Sie wollen… nein, bitte nicht! Aber, na ja, Sie verstehen schon. Da hat der Staatsanwalt nicht nur ein schweres Spiel… er wird feststellen müssen, dass er sogar die Hände schützend über ihn halten muss!“
Behringer sitzt nicht mehr dem jungen Mann gegenüber. Der schlürfte eine heiße Milch, die er nur so und ohne Kakao wollte, sich gleich tierisch aufregte, als man ihm eben dieses Pulver anbot. Er könne so etwas nicht vertragen und gerade solches Pulver wäre nicht gut für den Geist. Der Oberkommissar verstand das nicht so ganz, nickte jedoch und versuchte schließlich nicht mehr, ihn auf seine Tat anzusprechen. Nun jedoch, seit der Betreuer da ist, heult der vermeintliche Täter die ganze Zeit und will sich gar nicht mehr beruhigen. Ihm wird das langsam zu viel.
„Hatte er denn niemanden bei sich?“
Der Betreuer, ein gewisser Opitz, der darauf verzichtet, sich auszuweisen oder auch nur seinen Vornamen zu nennen, schüttelt nur den Kopf. Dann schnieft er und holt einen Zettel hervor. Zusammengeknautscht steckte der in seiner Tasche. Ob er ihn immer bei sich trägt? Solche Betreuer sind meist nicht nur für Einen zuständig. Der da benimmt sich jedoch eben so. Mystisch… oder einfach dumm.
„Hier, das ist der Betreuungsvertrag. Ich soll nur dann eingreifen, wenn etwas geschieht oder er selbst Hilfe anfordert, in eine Situation gerät oder so…“
In eine Situation… Der Polizist lacht und denkt an diesen alten Film mit Rühmann. Da meinte auch eine Frau, ohne direkt zu werden, sie käme vielleicht in eine Situation. Diese hier ist jedenfalls nicht zum Lachen und er wird gleich wieder ernst.
„Gab es denn in letzter Zeit Probleme mit ihm?“
Opitz schüttelt den Kopf.
„Nein. Er lebt ja für den Platz. Ich weiß auch nicht. Er war völlig niedergeschlagen, als hier der Sturm durchraste und er packte dann auch ganz schön mit an, als es an den Wiederaufbau ging, aber dass er jetzt… gab es denn Zeugen? Vielleicht wollte der Kleine nicht hören, machte gerade was kaputt oder so… manchmal tickt solch eine Mensch wegen verrückt kleiner Sachen aus und man kann sich hinterher nur wundern… Na ja, ist sicher nur verletzt, oder? Krankenhaus und gut… nicht schön, doch sicher durch die Versicherung abgedeckt, oder?“
Behringer muss ihn aufklären. Opitz fällt aus allen Wolken. Er kann nicht fassen, dass einer seiner Betreuten einen Mord begehen kann…
„Totschlag… vielleicht auch Unfall, verhängnisvolles Zusammenspiel… aber Mord? Nein, sicher nicht, oder?“
„Mann, so ein großes Auto!“
René schaut verliebt und neidisch auf den Mercedes einer besonders gehobenen Klasse. Dann wandert sein Blick aufs Nummernschild. Nein, der scheint nicht gemietet, sondern wirklich gekauft, vielleicht noch geleast zu sein. Dabei erinnert er sich an einige Mitschüler, die zum Abiturientenball mit riesigen Limousinen vorfuhren, sich gar fahren ließen, weil sie diesen Auftritt von ihren Eltern gesponsert bekamen. Verpuffte meist, denn es machten einfach zu viele. Zwar hatte er mit seinem alten und stets laut knallenden und mächtig stinkenden Käfer die Lacher für sich reserviert, doch dies würde man sicher weniger vergessen, als den Auftritt der anderen. Zumal er, ganz weltmännisch und von seinem Vater dahin gehend instruiert, seinen Wagenschlüssel ebenso einem Herumstehenden zuwarf, der den Wagen wegfahren sollte und es auch tat. Dass der dann im Laufe des Abends einige Schrammen mehr abbekam, als er ohnehin schon hatte, und
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