Cholerabrunnen
kann nicht weg, kann sich auch, wenn die Kollegen in der JVA es richtig machen, nichts antun und steht zur Verfügung. Sollte sich später herausstellen, dass die Festnahme voreilig war… na ja, Notstand. Das ist nun einmal so, wenn eine Stadt angegriffen wird. Außerdem kann die Justiz auch mal ein Auge zudrücken, wenn es um die 72-Stunden-Regelung geht. Immerhin musste ein Kind sterben. Warum auch immer.
Behringer schluckt noch einmal und gibt dann grünes Licht. Der Kleinbus rollt wenig später vom Spielplatz und die anderen Beamten beginnen, zusammenzupacken. Scheinbar haben sie alles erfasst. Dauerte ja auch eine ganze Weile. Er spürt schon die Müdigkeit in seinen Knochen. Nur… was ist jetzt mit der Stadt? Sind die Brücken offen, kann man da hinüber?
„Aussicht… nun, hier gab es mal einen Aussichtsturm. Auf dem Wolfshügel. Nein, der hat nichts mit den Deutschen Wölfen aus dem Nazireich zu tun. Eher jagte man früher in der gesamten Heide Wölfe. Da ist auch noch…“
Behringer winkt ab. Klar, kennt er. Das Wolfsdenkmal drüben beim Forsthaus in Kreyern. Da war er als Kind. Und er verstand nie, warum es da stand. Seine Mutter mühte sich redlich. Später erst begriff er es… und nun soll er dahin gehen, um Dresden zu sehen?
„Nein, nein, der Hügel ist gleich hier um die Ecke. Nur ein paar Meter die Straße hoch und in den Wald hinein. Doch der Aussichtsturm wurde gesprengt. Keine Ahnung, warum. Vielleicht sollte er nur nicht den Russen in die Hände fallen… war damals ja eine verrückte Zeit in den Vierzigern. Aber die Ruinenteile sind so hoch, dass man hochklettern kann und manchmal, wenn der Wind günstig steht, die Baumwipfel dermaßen zur Seite gedrückt werden, dass man einen herrlichen Blick auf Dresden hat.“
Behringer kratzt sich am Kopf. Auf einer Ruine herumklettern? Ist nicht gerade sein Ding! Er schluckt und nickt schließlich.
„Okay, mache ich. Wie komme ich hin?“
Dengler ist wohl doch nicht so blöd. Er willigt gleich ein und zieht mit seinem Chef los. Der Funkverkehr brach nun endgültig zusammen. Es ist schon… verrückt. Er könnte heulen, lässt es aber lieber. Ist schon so alles viel zu schlimm.
Wenig später fahren sie die Bautzner Straße weiter gen Ortsteil Weißem Hirsch, halten ein gutes Stück vor der Mordgrundbrücke an.
„Hier… den Weg durch den Wald, am Wolfsdenkmal vorbei… nein, nicht dem in Kreyern… Soll eher ein Zentaur sein… und dann auf dem Hügel oben… sieht man nicht von hier. Ist die höchste Erhebung hier ringsum. Nicht zu verfehlen. Haben Sie gute Schuhe an?“
Ja, eben… leider… zu gut. Eindeutig zu gut. Behringer flucht. Musste er wieder die Neuen tragen? Na ja, zum Anzug passen sie nun einmal. Er sollte sich durchringen und endlich auch in die Jeanszeit kommen. Seine Kollegen kleiden sich längst nicht mehr, wie zu DDR-Zeiten üblich. Schlips und Kragen… das ist was für Manager. Damit… Mist. Er grinst. Es gibt Leute, die das nicht so sehen. Von Gestern…
Sie steigen aus und nehmen den Weg. Hier ist der Boden hauptsächlich sandig. Zum Glück, denkt sich der Oberkommissar und sieht, wie sein Assistent stets ein paar Schritte vor ihm bleibt, schneller den Hügel nach oben kommt, als er es jemals schaffen würde. Er sollte wieder an seiner Kondition arbeiten. Zu viel Arbeit im Büro, zu wenig Stress, der seine Muskeln bedient… außer jenen, die er fürs Denken benötigt… aber das sollen keine Muskeln sein. Er grinst in sich hinein. Ja, so ist das… der Chef und sein Assistent…
Dann stehen sie oben. Weiter hinten im Wald sehen sie eine Gruppe von vielleicht drei Personen, die sich auch hierher bewegt. Hmm… nicht jeder weiß schon von dem Unglück, über das sie sich nun eben kundig machen wollen. Die da? Sicher nicht. Sehen irgendwie… recht unbeleckt aus.
Er schaut sich skeptisch diese Ruine an. War wohl ein interessanter Turm. Wer erzählte etwas von Hans Erlwein, einem ehemaligen Stadtarchitekten und Baurat, der in Dresden eine Menge Bauten plante und errichten ließ? Er weiß es nicht mehr. Vielleicht auch das Ding hier? Nun liegt die Größe eines Turmes in Trümmern in der Mitte eines Treppenbaus, den man noch ziemlich weit bis zu den Baumwipfeln begehen kann, auch wenn überall Verbotsschilder stehen. Der Dreck und die vielen weggeworfenen Flaschen und Dosen künden davon, dass man sich nicht unbedingt daran hält.
Langsam steigt er nun nach oben. Dengler ist wieder vor ihm, treibt ihn an, ohne ein
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