Choral des Todes
Oder besser gesagt ›war‹, weil er ja kürzlich gestorben ist. Es gibt noch andere. Die Kommandeure der Infanteriedivision von Santiago. Die Chefs der DINA .«
»Können Sie mir ihre Namen nennen?«
»Es sind etwa dreißig.«
Volokine gab der Anwältin seine E-Mail-Adresse und bat sie, ihm diese Liste vor dem Weihnachtsessen zu übermitteln.
»Was hat er Ihnen sonst noch gesagt?«
»Nicht viel. Wir wollten uns treffen, um unter vier Augen darüber zu reden. Ich war nicht sicher, ob ich seiner Geschichte Glauben schenken konnte. Wie Sie wissen, werden uns viele Zeugenaussagen von Opfern zugetragen. Von Männern und Frauen, die grundlos verhaftet und gefoltert wurden. Aber sehr selten kommt es vor, dass ein Folterer aussagt. Götz schien ein reuiger Henker zu sein. Seine Aussage war darum von allergrößter Wichtigkeit. Oder ein Schwindel.«
»Hat er Ihnen am Telefon nichts über die Gräueltaten erzählt, an denen er beteiligt war?«
»Kein einziges Wort. Er hat nur etwas Merkwürdiges gesagt.«
»Was?«
»›Diese Verbrechen finden immer noch statt.‹ Er sprach so, als hätte er Informationen über Delikte aus jüngster Zeit.«
»Haben Sie ihn getroffen?«
»Nein. Wir hatten uns für gestern verabredet. Er ist nicht erschienen. Das hat meine Vorahnung bestätigt. Ein Mythomane. Ich habe jetzt keine Zeit mehr …« Ein kurzes entschuldigendes und zugleich hochmütiges Lachen. »Mir werden gerade die Haare gefärbt, verstehen Sie?«
Volokine hatte der Versuchung nicht widerstehen können, sie zurechtzuweisen:
»Wilhelm Götz ist ermordet worden. Und ich kann Ihnen versichern, dass er kein Schwindler war.«
»Ermordet? Wann?«
»Vor vier Tagen. In einer Kirche. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Das ist doch verrückt. Ich habe nichts darüber gelesen …«
»Ich werde Sie wieder anrufen, wenn wir stichhaltige Hinweise haben. Und vergessen Sie bitte nicht, mir die E-Mail noch vor heute Abend zu schicken.«
Volokine hatte aufgelegt. Diese Verbrechen finden immer noch statt. Das war das Mindeste, was man sagen konnte. Doch die drei nächsten Morde konnte er wohl kaum gemeint haben. Auf welche Taten mochte er angespielt haben? Und wer waren die Opfer? Wollte er gegen El Ogro persönlich aussagen? Warum hatte er plötzlich beschlossen, die Seiten zu wechseln?
Der Polizist hatte diese Fragen, bei denen er momentan nicht weiterkam, beiseitegeschoben und seine Nachforschungen in eine andere Richtung gelenkt. Die verschwundenen Kinder. Er hatte beschlossen, zweigleisig vorzugehen – eine Reihe von Telefonaten für Kasdan zu erledigen und eine Reihe von Anrufen, um Beweise für seine eigene Vermutung zu suchen. Zwei Vorgehensweisen, die einander nicht widersprachen, denn alles war wahr .
Er hatte noch einmal bei der Pfarrei der Kirche Saint-Augustin angerufen, um zu überprüfen, ob Pater Olivier nicht selbst einmal oder mehrfach in das Verschwinden von Kindern verwickelt gewesen sei. Ein Pfarrer hatte versucht, ihn abzuwimmeln.
»Ich kenne Sie nicht«, hatte er geantwortet.
»Jedes Ermittlungsteam besteht aus sechs Mitgliedern und …«
»Ich möchte nur mit Hauptmann Marchelier sprechen. Außerdem habe ich überhaupt keine Zeit und …«
»Hören Sie zu, Pater«, sagte Volokine und schlug einen anderen Ton an. »Entweder antworten Sie sofort auf meine Fragen, ohne zu diskutieren, oder ich rufe meine Freunde bei den Medien an.«
»Ihre Freunde bei den …?«
»Ich selbst habe sie auf die perversen Umtriebe von Pater Olivier alias Alain Manoury aufmerksam gemacht.«
»Aber …«
»Ich könnte ihnen von einer anrüchigen Geschichte erzählen. Zum Beispiel von den Mauscheleien der Diözese, damit die Eltern ihre Klagen zurückziehen.«
»Die Dinge sind nicht …«
»Hören Sie auf und beantworten Sie meine Fragen! Ich habe damals die Ermittlungen geführt. Ich kann Ihnen versichern, dass ich sehr verärgert über diese beiden Geschichten war. Also, ich wiederhole meine Frage: Sind während der Amtszeit von Pater Olivier Kinder aus Ihrem Chor verschwunden, ja oder nein?«
»Ja, eines.«
Ein kalter Schauder überlief Volo:
»Name und Datum.«
»Charles Bellon. Im April 1995. Den Ermittlungen zufolge handelte es sich um einen Ausreißer und …«
»Buchstabieren Sie mir den Namen.«
Der Priester kam der Aufforderung nach. Volokine verließ das Internetcafé, um den Schreien der Kinder und dem ohrenbetäubenden Lärm ihrer PC -Spiele zu entkommen. Die Avenue de Versailles war kaum weniger
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