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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Bombe platzen zu lassen:
    »Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen mitteile, dass im Augenblick Kinder der Kolonie mitten in Paris zuschlagen?«
    Der Forscher schaltete den Projektor aus. Der Raum war plötzlich in Dunkelheit getaucht.
    »Es würde mich nicht überraschen«, sagte er und zog das Magazin heraus. »Wenn man einem Ameisenhaufen einen Fußtritt versetzt, überleben die Ameisen. Sie finden anderswo Zuflucht. Sie bauen sogar Gänge in fremde Nester. Suchen sich ein neues Zuhause. Hartmanns Clique hat sich vielleicht in einem anderen südamerikanischen Land niedergelassen. Oder sogar in Europa. Nichts ist zu Ende. Alles geht weiter.«
    Bokobza zog die Vorhänge auf. Trübes Tageslicht fiel in den Raum.
    »Dürfte ich einige Unterlagen mitnehmen? Ein Bild Hartmanns? Einige Zeugnisse?«
    »Kein Problem. Ich habe sie tonnenweise.«
    Der Forscher zeigte auf die Schubfächer, die die Wände des Raums bedeckten:
    »In diesem Archiv gibt es in Hülle und Fülle Dokumente über das Wiederauftreten des Bösen. Die Neonazis sind überall. Der Nazismus hat Junge bekommen und wird nie aufhören, welche zu kriegen. Hier versuchen wir nur, eine moralische Wache zu halten.«
    Kasdan blickte auf die Schubfächer. Er hatte plötzlich den Eindruck, von unsichtbaren Terrarien umgeben zu sein, die scheußliche Monster bargen. Oder von Gläsern voller Viren und aggressiver Mikroben. Bokobza war ein Erforscher des Bösen, der Infektionsherde sondierte.
    »Wie können Sie … hier leben?«
    »Ich bin ein Mensch, und ich lebe unter Menschen. Das ist alles.«
    »Ich verstehe nicht.«
    Bokobza drehte sich um und sagte mit einem müden Lächeln:
    »In einem anderen Raum könnte ich Ihnen einen aufschlussreichen Film über Israelis zeigen, die mit Steinen die Gliedmaßen eines palästinensischen Jugendlichen brechen. Der Hass ist das schädlichste, aber am meisten verbreitete Gefühl.«
    »Ich verstehe immer noch nicht.«
    Der Forscher kreuzte die Arme. Sein Lächeln blieb in der Schwebe. Es wirkte wie ein vereister Tropfen an der Spitze eines Stalaktits. Solange der Tropfen das Gleichgewicht hielt, konnte man sich ihn lebendig, frisch und glitzernd vorstellen. Aber sobald er sich löste und auf den Boden fiel, enthüllte er seine wahre Natur: Es war eine Träne!
    »Es ist nicht nur traurig«, sagte Bokobza abschließend, »dass der Nazismus existiert, ein ganzes Volk verseucht und die Ermordung von Millionen von Menschen verursacht hat. Auch nicht, dass immer noch auf der gesamten Erde ungeheuerliche Gräueltaten geschehen. Am traurigsten ist es, dass ein solcher Hass im tiefsten Innern jedes Einzelnen von uns wohnt. Ohne jede Ausnahme.«

KAPITEL 44
    Fünf Uhr nachmittags – und Volokine war immer noch im Internetcafé.
    Die Suche nach dem Anwalt war problemlos verlaufen. Binnen einer halben Stunde hatte Volo ihn ausfindig gemacht.
    Er hatte zunächst die Websites aufgerufen, die sich mit der Verteidigung der Menschenrechte befassten, und zwar insbesondere mit den Vermissten aus den lateinamerikanischen Militärdiktaturen. Er hatte eine Liste der französischen Richter und Anwälte aufgestellt, die den Akten zufolge mit den Klagen gegen das chilenische Regime befasst waren. Dann hatte er bei France-Télécom angerufen und mit fester Stimme seine Kennnummer durchgegeben. Anschließend hatte er die einzelnen Vielredner zu Hause oder auf dem Handy angerufen, während sie ihre Weihnachtseinkäufe machten.
    Beim achten Anruf hat er schließlich Geneviève Harova erreicht, eine Pariser Anwältin, spezialisiert auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und vor allem für den Internationalen Strafgerichtshof in Sachen Ex-Jugoslawien und Ruanda tätig.
    »Ja, Wilhelm Götz hat mich angerufen«, hatte Frau Harova eingeräumt und ihn zugleich wissen lassen, dass sie gerade beim Friseur war.
    »Wann?«
    »Vor etwa zehn Tagen.«
    »Hat er Ihnen gesagt, worum es ging?«
    »Um eine freiwillige Zeugenaussage. Gegen Personen, die mit dem Verschwinden, der Freiheitsberaubung und der Folter in Chile zu tun hatten.«
    Die Frau hatte einen herablassenden, ungeduldigen Ton. Im Hintergrund konnte Volo die für einen Friseursalon typischen Geräusche hören. Scheren. Föhn. Gemurmel.
    »Warum hat er Sie angerufen?«
    »Ich befasse mich mit verschiedenen Vorgängen dieser Art, die das Verschwinden französischer Staatsangehöriger in den Jahren 1973 bis 1978 betreffen.«
    »Wer sind die Verdächtigen?«
    »General Pinochet ist unsere wichtigste Zielscheibe.

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