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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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sie in den Pariser Vorortgürtel ein. Ein Geflecht von Wohnsiedlungen und Einfamilienhäusern aus Mühlsandstein. Vollkommen menschenleer. Um halb eins hielten sie vor dem Haus Nummer 64 in der Rue Sadi-Carnot in Villemoble.
    Schweigend betrachteten sie das Eisentor und die Backsteinmauern. Eine Festungsmauer, über der schwarze Wipfel im Wind schwankten. Es fehlten nur Glasscherben, in die Mauerkrone eingesetzt, um das Bild abzurunden. Sie stiegen aus, Kälte umfing sie.
    Das Tor war offen. Volokine musste nur die Klinke herunterdrücken, um in den Garten zu gelangen. Er blickte zu Kasdan, dessen hünenhafte Gestalt die weißen Lichtkreise der Straßenlaternen verdeckte, und winkte ihm.
    Die Finsternis verschluckte sie. Eine Umfassungsmauer, hundertjährige Bäume, kein erleuchtetes Fenster. Die beiden Partner erspähten einen Fußweg und folgten ihm. Der Garten war verwildert. Unkraut und Quecken hatten Blumen und Rasen verdrängt. Wild wuchernde schwarze Büsche, die an riesige Staubflocken erinnerten, traten aus der Dunkelheit hervor. Brombeergestrüpp umschloss das Ganze wie Stacheldraht.
    »Wir sind auf der falschen Fährte«, brummte Kasdan, »der Typ ist tot oder vor langer Zeit weggezogen.«
    »Wir werden sehen.«
    Nach ein paar Schritten erreichten sie die Stufen des Hauses. Ein imposantes Gebäude, eine Art Herrenhaus im Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts, mit Verzierungen, wie man sie sonst nur bei Schlössern vorfindet. Schwarze Ziegelsteine. Spitztürme. Bogenförmiges Vordach. Die Eingangstür war mit gewundenen Eisenstäben verziert, die vage im Art-déco-Stil gestaltet waren und an einige alte Metro-Eingänge erinnerten. Aber das war alles. Das Gebäude wirkte abgeschottet wie ein Bunker. Alle Fensterläden waren geschlossen. Bauschutt lag im Dickicht. Glasscherben übersäten die Außentreppe. Wirklich eine Ruine.
    Volokine begann die Einschätzung Kasdans zu teilen: Hier wohnte seit Ewigkeiten niemand mehr. Arnaud hatte seine Informationen nicht aus erster Hand.
    Sie stiegen die Stufen hinauf. Die Gittertür war verriegelt, aber das kleine Glasfenster war zertrümmert, sodass man die Hand zwischen den schmiedeeisernen Ziselierungen in das Loch hineinstecken und den inneren Riegel betätigen konnte.
    Der Form halber drückte Volo auf die Klingel. Keine Reaktion. Gleich im Anschluss schlug er gegen die Tür, nicht zu fest, damit man ihn in den Nachbarhäusern nicht hören könnte. Es blieb totenstill. Ohne Eile wühlte er in seiner Umhängetasche und zog zwei Paar Chirurgenhandschuhe heraus. Eines davon reichte er an Kasdan weiter, während er sich das andere überstreifte. Dann führte er die Hand durch das Loch im Fenster und drehte das Rädchen an dem inneren Schloss. Die Tür quietschte unheimlich, als er sie aufdrückte. Der Russe verharrte reglos auf der Schwelle, zählte im Geist bis zehn und wartete gespannt auf eine Bewegung in der Finsternis. Nichts. Er stieg über die Glasscherben hinweg und betrat die stockfinstere Diele.
    Die erste Wahrnehmung war der Geruch nach Staub. Die Luft war hier so drückend, so gesättigt von Schlackenstaub, dass Volokine den Eindruck hatte, schweren Rauch zu inhalieren. Sogleich begann er durch den Mund einzuatmen, und zwar in kurzen Zügen, um möglichst wenig Staub zu inhalieren. Die zweite Empfindung war die Kälte. Es war hier genauso eisig wie draußen. Allerdings war die Kälte hier feuchter.
    Volo zog seine Stiftlampe aus seiner Tasche und schaltete sie ein. Eine Doppeltür, auf deren rechter Seite die Angeln halb herausgerissen waren. Der Durchgang glich einem klaffenden finstren Loch. Er entschied sich für diese Richtung, gefolgt von Kasdan, der seine eigene Lampe anmachte. Ihre leisen Schritte wurden begleitet von Dampfwölkchen, die ihrem Mund entwichen und wie wallender Rauch in die Lichtkegel der Lampen stiegen.
    Sie betraten das erste Zimmer. Die Möbel schienen aus Staub und Spinnweben gefertigt zu sein. Dunkle, formlose Massen, die ihnen Ekel einflößten. Auf dem Boden lagen verdreckte Zeitungen, herausgerissene Buchseiten und eine leere Flasche. Die einzigen Geräusche, die sie vernahmen, waren leises Rascheln und Knistern, wie von kleinem Getier, das keine Besucher gewohnt war.
    Volokine hielt seine Lampe in Höhe der Hüften. Allzu düstere Gemälde, auf denen man nichts erkennen konnte. Eine grünlich gestreifte Tapete, die stellenweise Blasen warf oder zerrissen war, bedeckte die Wände wie ein klebriges Leichentuch. Spinnweben hingen

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