Choral des Todes
zerknitterten Laken und zerwühlten Kissen, nahm einen Großteil des Zimmers in Beschlag.
Der Alte war nicht zu sehen.
Und seine Stimme war verstummt.
Volo hatte eine Idee, aber Kasdan war schneller. Er langte nach den Decken und schlug sie mit einer einzigen Handbewegung zur Seite. Ein verhutzeltes Männchen lag zusammengekrümmt in der Mitte des Betts und schien an seinen eigenen Exkrementen zu schnüffeln. Sich an die Laken klammernd, schlotterte der Mann ruckartig. Volokine hatte den Eindruck, dass sie gerade einen Stein umgedreht hatten – um darunter einen großen giftigen Hundertfüßer mit leuchtendem Rücken zu entdecken.
Kasdan beugte sich zu ihm herab und drehte ihn um. Ein kahler Totenkopf, eingefallene, schrumplige, welke Lippen wie bei einer Mumie. Tief in die Höhlen eingesunkene, unzugängliche Augen. Eine Fischhaut, so dünn und durchscheinend, dass sie schimmerte. Der lebende Tote stammelte zwischen den Schluchzern:
»Anita … Gib mir … Gib mir, oder ich verrecke …«
Kasdan richtete sich auf:
»Was hat er? Wir müssen seine Medikamente finden, sonst krepiert er unter unseren Händen.«
Volokine antwortete nicht. Er hatte sich getäuscht. Nicht die Stimme kam ihm vertraut vor und auch nicht das Zimmer des alten Mannes. Sondern ein geheimnisvoller Mangel. In der Stimme. Im Körper. Im Zimmer. Die Entzugserscheinungen. Die herzzerreißenden Entzugserscheinungen, die den Alten marterten. Das hatte er in der Luft gerochen, in dem Haus, an diesem unglaublich deprimierenden Weihnachtsabend.
La Bruyère brauchte seinen Schuss.
»Rühren Sie sich nicht«, murmelte er.
Er verließ das Zimmer, eilte die Treppe hinunter, verlief sich in riesigen dunklen Zimmern, stieß gegen Möbel und Türrahmen. Schließlich fand er die Küche. Kühlschrank. Licht schlug ihm aus dem Innern entgegen. Alte Sardinen. Reste von Nudeln mit Tomatensoße. Butter. Käse. Alles in winzigen Mengen, wie um eine Maus zu füttern.
Volokine bückte sich und stöberte im Gemüsefach herum. Weißblechdosen. Er öffnete die erste: Spritzen. Die zweite: die Abschnürbinde aus Gummi und Teelöffel. Die dritte: Beutelchen aus Kristallpapier. Er musste sie nicht aufmachen, um zu wissen, was sie enthielten. Die Kosten für die Behandlung des Generals wurden nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen.
Der Russe nahm die Sachen heraus, erhitzte Wasser in einem Topf, bis es kochte. Er setzte ein Sieb in den Topf und stellte dann zwei der drei Blechdosen hinein – ein improvisierter Dampfkochtopf.
Volo zog die Ärmel über seine Hände, umfasste das Sieb und kippte den Inhalt in seine Ellenbeuge. Er öffnete den Kühlschrank ein weiteres Mal und fand eine schrumpelige halbe Zitrone darin. Mit seiner freien Hand nahm er aus der letzten Dose einen weißen Beutel. Seine Finger zitterten. Trotz des Dampfs trat ihm von den Haarwurzeln bis zu den Zehen der kalte Schweiß aus. Der Kontakt zum Dope. Zum Fixen …
Er musste widerstehen.
Er musste.
Er ging wieder nach oben. Warf den Papierkram, der auf einem Schreibtisch lag, herunter, verteilte die Utensilien darauf, zog seine Drillichjacke aus und krempelte die Ärmel hoch. Der Schweiß verklebte ihm das Gesicht.
»Was treibst du da, verdammt?«
»Ich wecke den Zeugen auf. Unser Mann hat Entzugserscheinungen, das ist alles.«
»In seinem Alter?«
»Der Mitternachtsdämon, Opa. Sagt Ihnen das nichts?«
La Bruyère, der sich noch immer wie ein Fötus zusammenkauerte, wurde von Krämpfen geschüttelt. Der Russe öffnete mit seinen behandschuhten Händen eine der glühend heißen Dosen. Er nahm einen Löffel und ergriff dann das gefaltete Papier. Behutsam öffnete er es mit einem Finger. Da war das Pulver. Seine Finger zitterten, doch er ließ sich nicht beirren. Er hatte den Eindruck, über seinem Körper zu schweben.
Es war mehr als ein Gramm. Er wusste nicht, ob das Heroin gestreckt war, entschied sich aber für eine Schockbehandlung. Die vollständige Dosis. Er ließ das Beutelchen offen und flitzte dann ins Badezimmer. Es fehlte ihm nur noch Watte. Er fand keine, stöberte aber in einem Arzneimittelschränkchen voller abgelaufener Produkte Verbandsmull auf. Außerdem fand er neunzigprozentigen Alkohol.
Er kehrte in das Schlafzimmer zurück. Der General in seinen feuchten Laken klapperte noch immer mit den Zähnen, wobei er unverständliche Flüche murmelte. Volo ergriff das Löffelchen, verbog den Stiel, presste die halbe Zitrone darüber aus, als wäre es eine
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