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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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eine Wand eingelassener biometrischer Sensor. Er legte den Zeigefinger drauf, und die Tür öffnete sich.
    Ein Ausstellungssaal. Im Halbdunkel sah man von hinten beleuchtete Glasblöcke, die auf Stelen standen. Sie waren mit einer viskosen Flüssigkeit gefüllt und enthielten braune, faserige, organische Objekte. Eigenartige Sträucher, die sich langsam im schmutzig rosa Licht drehten.
    Menschliche Organe. Volo konnte sie nicht identifizieren, aber diese Arabesken waren mit einem besonderen Konservierungsverfahren behandelt worden. Sie wirkten hart, kristallisiert, geschützt vor Fäulnis. Als wären sie in Lack oder in Kunststoff eingehüllt worden.
    Volokine trat näher heran. Die Fasern, die Knochen, die Konsistenz … Die Fleischstücke glänzten in allen Farbtönen des Blutkreislaufs: das Purpurrot der Kapillargefäße, das Zinnoberrot der Venen, das Amarantrot der Arterien …
    Er zählte etwa dreißig Blöcke. Er dachte an das Credo der Sekte. Der Moderne entkommen. Ein Leben jenseits der Zeit führen. Dieser Ort passte nicht zu diesen Prinzipien. Im Gegenteil, es war ein futuristisches Museum, das Einzelteile des menschlichen Körpers in einer Weise isolierte, wie es Außerirdische hätten tun können, die einen Ausstellungssaal für Anatomie anlegten.
    Er schlüpfte zwischen den Stelen hindurch. Erblickte hinter diesem ersten Saal ein Forschungslabor. Ein großer Raum mit mehreren Schleusen. Glaswände. Operationstische. Ausgeschaltete Lampen. Und außerdem Computer, Reagenzgläser, Fläschchen, Zentrifugen …
    Volo fielen die seltsamen Abmessungen der Operationstische auf. Zu groß für Tiere. Zu klein für Menschen. Volo musste nicht lange nachdenken. Kinder. Die Experimente der Sekte bezogen sich ausschließlich auf Kinder. Zweifellos diejenigen, die den Stimmbruch hinter sich hatten und aus diesem Grund überflüssig geworden waren. Die Hugo Monestier, Tanguy Viesel, Charles Bellon … Wie viele andere?
    Volo spürte plötzlich die Kälte, die in dem Raum herrschte. Abermals betrachtete er die im Glas eingeschlossenen Organe. Er begriff. Es handelte sich um Gurgeln, Kehlköpfe, Stimmbänder. Seine Gedanken wurden klarer. Organe, die entnommen worden waren, bevor sie unrein wurden. Bevor sie von den Hormonen der Pubertät entstellt worden waren.
    Mit Tränen in den Augen langte Volokine nach einem der Vierecke aus Glas.
    In dieser Sekunde blitzte ein Strahl auf, der seine Finger in einem weißen Lichthof fixierte.
    Der Lichtstrahl einer Taschenlampe.
    Einer taktischen Lampe an einer automatischen Waffe.
    »Bei solchen Händen soll dir jemand abnehmen, dass du Landarbeiter bist?«
    Volokine wandte den Kopf um und lächelte. Zwei Männer in schwarzen Matrosenjacken näherten sich. Er erkannte sie: der Vorarbeiter und einer seiner Schergen.
    Die Kinder der Kolonie.
    Die keine Probleme mit modernen Materialien hatten.
    Jeder von ihnen hielt eine Maschinenpistole MP 7 A1 der Marke Heckler & Koch in Händen. Eine Nahkampfwaffe zur »Behandlung gehärteter Ziele«, wie es in den einschlägigen Handbüchern hieß. Im Klartext: zum Einsatz gegen Personen, die kugelsichere Westen trugen.
    Volokine antwortete nicht. Tief im Innern seines Herzens hatte er nie daran gezweifelt, dass es einmal so enden würde. Was hatte er erwartet, als er sich in die Höhle des Löwen wagte? Keine Antwort im Kopf des Rauschgiftsüchtigen, der sich selbst zerstörte.
    Dabei gab es eine Antwort.
    Sie trat aus dem Schatten heraus: eine vertraute Gestalt.
    Ein weißhaariger Mann im Schein eines beleuchteten Glaskastens:
    »Cédric, mein Junge. Ich habe immer gewusst, dass du zu uns zurückkommen würdest.«

KAPITEL 76
    »Ich kehre ohne meine Stimme zurück«, sagte Volokine, wobei er sich über seine innere Ruhe wunderte. »Aber in der Absicht, euch zu schaden.«
    »Natürlich«, erwiderte Bruno Hartmann. »Du bist sogar Polizist geworden. Ohne es zu wissen, hast du immer dieses geheime Projekt mit dir herumgetragen. Hierher zurückkehren und uns zerstören. Einerseits ist es ein wenig albern. Andererseits ist es mutig.« Der Mann lächelte. »Du warst ein mutiger Knabe, Cédric. Ich wusste, dass du uns früher oder später Schwierigkeiten bereiten würdest.«
    »Warum habt ihr mich damals nicht umgebracht?«
    »Das war unnötig. Nach deiner Flucht haben wir dich aufgespürt. Du warst in die Universitätsklinik von Millau eingeliefert worden. Wir haben Erkundigungen eingeholt. Du warst mit schweren Brandverletzungen und völlig benommen

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