Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
Volokine durchquerte die Halle und trat ins Freie.
    Die »Zone der Reinheit«. Genauer »das Atrium«. Jetzt erinnerte er sich an die Namen. Die Gebäude und die Treibhäuser waren in einer weitläufigen ovalen Linie angeordnet, in der Mulde einer flachen Senke mit sanften Hängen.
    In der Mitte ragte eine riesige hölzerne Skulptur zum Himmel empor. Damals hatte sie ihm Angst eingejagt. Eine christlich inspirierte Hand, die eine geheimnisvolle Ähnlichkeit mit den Totems der Pazifik-Kulturen besaß. Diese entlegenen Welten, die von mächtigen Geistern, den Manas, beherrscht wurden. Ja, diese Holzskulptur in Form einer Hand, die zum Himmelszelt zeigte, hatte etwas Heidnisches, Primitives, das aus vorchristlicher Zeit zu kommen schien.
    Volokine ging um die Skulptur herum und durchquerte das Atrium in Richtung der Gewächshäuser, wobei er sich nach wie vor abseits der Wege hielt. Ihn erstaunte die Weichheit des Rasens. Das war nicht mehr kurzes Steppengras, das unter den Sohlen knisterte, sondern eine Art Samt. Ein weiteres Detail verblüffte ihn: das Fehlen von Wachposten und Hunden. Es war ein vollkommen elektronisches Überwachungssystem. Keine gute Nachricht. Auf die eine oder andere Weise würde er, ohne es zu bemerken, aufgespürt.
    Volokine betrat das erste Treibhaus. Geruch nach feuchter Erde. Eine Erinnerung. Seine Kinderhände, die diese Blumen pflückten – weil das Gewächshaus voller Blumen war. Er verwarf diese Erinnerung, die er nicht verstand, und wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Er erkannte zwei Blumenbeete, die durch einen Gang getrennt waren.
    Tulpen, so schien es.
    Im nächsten Augenblick korrigierte er sein Urteil.
    Keine Tulpen, sondern Mohn.
    Er musste lächeln. Die Männer der Kolonie, die auf ihrem autonomen Territorium Opiumfelder anbauten. Geschützt vor der Kälte und vor fremden Blicken. Den Rest konnte man sich leicht zusammenreimen. Der Export in europäische Länder, begünstigt durch diplomatische Immunität. Die Erfahrungen mit dem Drogenanbau in Südamerika. Die astronomischen Summen, über die die Kolonie Asunción verfügte.
    Der Kreis schloss sich.
    Für Volokine hatte alles mit Drogen begonnen.
    Heute Nacht würde alles mit ihnen zu Ende gehen.
    Er bahnte sich einen Weg zwischen den feuchten Blüten hindurch. Er war sicher. Die Treibhäuser waren mit Kameras ausgerüstet. Man würde ihn in wenigen Augenblicken überraschen. Aber es war ihm egal. Während er an den Blumenbeeten entlangging, strömte das Gift in sein Herz. Hunger. Entzugserscheinungen. Die Verlockung … Seine Hand näherte sich einer Zwiebel. Sie zitterte … Sie …
    Überall im Gewächshaus begannen Wassersprinkler zu sprühen. Ein Nebel stieg auf, der die Atmosphäre mit einem fein zerstäubten weißen Staub aus Wasser sättigte. Er schaffte es gerade noch, sich zur Tür zurückzuziehen. Bereits durchnässt.
    Lächelnd trat er ins Freie.
    Ein triumphierendes Lächeln.
    Diese Blumen des Bösen hatten einen besonderen Duft.
    Einen köstlichen Duft nach einem Strafverfahren …
    Wenn man beweisen konnte, dass die Kolonie Mohn anbaute, war es möglich, ihre Führer völkerrechtlich zur Verantwortung ziehen. Denn – Grenze hin oder her – der Drogenanbau war weltweit verboten.

KAPITEL 75
    Rückkehr ins Krankenhaus.
    Volokine hatte keinen Grund, um auf halbem Wege stehen zu bleiben. Jetzt wollte er den eigentlichen Aktivitäten der Sekte auf die Spur kommen. Folter. Experimente an Menschen.
    Er ging auf die Fahrstühle zu. Eine Handbewegung, und die verchromten Türen öffneten sich. Im Innern der Kabine eine Sensortastatur. Darüber eine ausgeschaltete Schalttafel. Es war zu schön, um wahr zu sein. Um den Aufzug in Gang zu setzen, brauchte man einen Code. Der Russe beugte sich vor und sah, dass es sich um eine Buchstabentastatur handelte. Er gab MISERERE ein.
    Die Tafel leuchtete auf, betriebsbereit.
    Er empfand ein Gefühl des Triumphs, aber gleich darauf eine ängstliche Anspannung. Es war zu leicht. Der Gedanke, dass es sich um eine Falle handelte, nahm in seinem Geist Gestalt an. Vielleicht begab er sich genau dorthin, wo man ihn erwartete …
    Der Aufzug setzte sich in Bewegung. Erstes Untergeschoss. Stille. Notausgangslampen. Niemand. Wieder ein Kinderspiel.
    Keine weißen Wände und kein Linoleum, sondern Beton und vergitterte Glühbirnen. Er ging nach rechts. Sein Unbehagen wuchs. Er war schon einmal hier gewesen. Er hatte hier gelitten. Eine weitere Brandschutztür. Ein in

Weitere Kostenlose Bücher