Choral des Todes
in drei Minuten vorbei, oder Sie erhalten morgen früh eine Vorladung zum Quai des Orfèvres 36 mit allen Unannehmlichkeiten, die damit verbunden sind …«
»Hat da nicht die Mordkommission ihren Sitz?«
»Nicht nur.«
»Bei welchem Dezernat arbeiten Sie?«
»Ich stelle hier die Fragen. Und ich warte noch immer auf Ihre Antwort.«
»Ich hab den Faden verloren«, murmelte der Trainer.
»Weshalb hat Volokine an keinen weiteren Wettkämpfen teilgenommen?«
»Es gab ein Problem«, räumte der Trainer ein, »bei einer Dopingkontrolle 1997.«
»Hatte sich Volokine gedopt?«
»Nein, aber seine Urinproben waren nicht sauber.«
»Was hat man darin gefunden?«
Erneutes Zögern, dann:
»Spuren von Opiaten, Heroin.«
Kasdan dankte dem Coach und legte auf. Diese Information war von größter Wichtigkeit und ließ die Sache in einem völlig neuen Licht erscheinen. Man hatte Volokine als einen vorbildlichen jungen Mann hingestellt, der mit fünfundzwanzig Jahren durch den Kontakt mit Dealern und Drogenabhängigen selbst dem Rauschgift verfallen war.
Aber so war es nicht.
Überhaupt nicht.
Schon lange vor seinem Eintritt ins Drogendezernat war Volokine drogenabhängig gewesen. Kasdan sah mittlerweile das Bild eines Jungen vor sich, der sich aufgrund seiner traumatischen Erlebnisse total verschlossen hatte. Ein Junge, der schon sehr früh Horse probiert hatte, um das zu vergessen, was er in den Heimen oder bei seinem Mistkerl von Großvater erlebt hatte.
Eine Frage quälte ihn immer wieder: Wie hatte der junge Volokine seine Ausbildung finanziert? Von den tausend Francs Sozialhilfe pro Monat konnte er sich jedenfalls seine tägliche Dosis nicht kaufen. Es gab nur eine Antwort, die mehr oder minder auf der Hand lag. Volokine hatte gedealt. Oder er war anderen kriminellen Aktivitäten nachgegangen.
Kasdan rief einen seiner ehemaligen Kollegen bei der Kripo an und bat ihn, eine Datenbankrecherche durchzuführen. Der Mann ließ sich lange bitten, erklärte sich dann aber bereit, auf der Grundlage von Cédric Volokines Führerschein und den Adressen seiner Studentenbuden zu recherchieren.
Im Jahr 1999, als Volokine sein Jura-Studium abschloss, wohnte er in der Rue Tronchet 28, einer Dreizimmerwohnung mit hundert Quadratmetern in der Nähe der Madeleine. Niedrig geschätzt eine Miete von zwanzigtausend Francs …
Dealer.
Kasdan fragte nach dem Auto, das Volokine damals fuhr. Es dauerte einige Sekunden, bis der Computer die Antwort ausspuckte. Im Jahr 1998 hatte er einen Mercedes 300 CE 24 gekauft. Damals die teuerste und angesagteste Kiste. Das totale Angeberauto. Volokine war gerade zwanzig.
Dealer.
Schließlich bat er um eine Überprüfung im elektronischen Strafregister – der Datenbank, in der vom Protokoll bis zur Freiheitsstrafe alles gespeichert wurde. Kein Treffer. Das hatte nichts zu bedeuten. Womöglich hatte Volokine kleinere Delikte begangen und dann von der Amnestie anlässlich der damaligen Präsidentschaftswahlen profitiert. In diesem Fall wurde alles gelöscht, und man begann von neuem …
Kasdan legte auf und stellte sich die Tausend-Euro-Frage: Was konnte einen drogensüchtigen Dealer in den besten Jahren dazu veranlassen, sich in der Polizeihochschule einzuschreiben und zwei Jahre lang die Uniform anzuziehen? Die Antwort war klar und seltsam zugleich. Volokine hatte seine Situation durchschaut. Er wusste, dass man ihm eines Tages auf die Schliche käme – und dass er im Knast allmählich an den Entzugserscheinungen zugrunde gehen würde. Wo aber kann man sich Drogen beschaffen und ist gleichzeitig weitgehend geschützt vor Entdeckung? Bei der Polizei. Volokine war nur deshalb auf die andere Seite gewechselt, um sich ungestraft – und umsonst – mit Drogen eindecken zu können.
All das war weder sehr moralisch noch sehr sympathisch.
Aber Kasdan fühlte sich von diesem verrückten Hund angezogen, der mit dem Leben gespielt hatte, und zwar so heftig, dass er die Orientierung verloren hatte. Der Armenier ahnte noch etwas anderes: Der Drogenkonsum und der Eintritt ins Drogendezernat stellten für den Russen nur eine Etappe dar. Kasdan spürte es: Tief in seinem Innern hatte sich Cédric Volokine aus einem anderen Grund entschieden, Polizist zu werden.
Nach zwei Jahren war er ins Jugendschutzdezernat gewechselt und hatte sich dort mit unglaublichem Einsatz in die Arbeit gestürzt. Der eigentliche Kampf, die eigentliche Motivation Volokines galt den Pädophilen. Kinder schützen. Deshalb brauchte
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