Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
verbal natürlich – vor allem, wenn die mal wieder von sich selbst erzählte. Was sie alles tat, was sie alles konnte, dass sie Schauspielerin sei, derzeit in einer, wie sie sagte, Schaffenskrise stecke. Fantastisch Ski laufen könne sie übrigens auch.
Anna erzählte mir später, dass Dürrenmatts erste Frau nach fast 40 Jahren Ehe erst kurz zuvor gestorben war, als er die zweite kennenlernte. Sie waren erst knapp ein Jahr zusammen, als ich sie beim Abendessen erlebte. Mag sein, dass sie gut für Dürrenmatt war und ihm half, seine Trauer zu überwinden. Ein Freund, dem ich von meinen Begegnungen in Zürich erzählte, hat mir viele Jahre später einmal einen Artikel aus der „Zeit“ gezeigt, in dem es hieß: „Dichterwitwen, die Salmonellen des Literaturbetriebs“. Dabei wollen wir es dann wohl belassen.
Mit meiner gut trainierten Berliner Schnauze bin ich bei den anderen aber ganz gut angekommen. „Ey, jetzt habe ich hier sechs Gabeln! Und? Was soll ich damit?“ Da haben sich immer alle scheckig gelacht, weil sie kaum glauben konnten, dass man so was im Ernst fragt.
Einmal saßen wir in der Kronenhalle, dem teuersten und schärfsten Restaurant, wie immer alle meinten. Ein Treffpunkt von Schauspielern, Künstlern, Dichtern. Yves Saint Laurent, Oskar Kokoschka, Andy Warhol, Max Frisch, solche Leute saßen da herum.
Jedenfalls hatte ich vor mir auf dem Tisch einen leeren Teller und über dem Tisch an der Wand einen original Picasso. Muss ich ja wissen. Picasso. Ich sage: „Okay, Picasso, aber wo bleibt mein Essen?“ Und die Züricher, so spießig wie sie sind, lachten sich leise kaputt. Ich rede erst und denke dann.
Aber die Kreise, in denen ich mich nun bewegte, waren wirklich nicht meine. Das war uns allen klar. Künstler, Schriftsteller, Bankiers und Uhrenmacher, es gab ganz selbstverständlich gegenseitigen Respekt, aber anders als viele andere Menschen mache ich mir nicht viel daraus, namhafte oder reiche Leute zu treffen. Und ich kann auch wenig mit dieser Akkuratesse und der Distanz anfangen, mit der die meisten von ihnen einem begegnen. Wie soll man sich denn nahekommen, wenn man sich immer nur siezt, wenn man sich nur die Hand schüttelt und nie in den Arm nimmt?
Aber klar, das waren ja auch keine Freunde, sondern Geschäftspartner, Angestellte, Leute, mit denen man irgendwelche Verträge zu verhandeln hatte. Das respektierte ich total, es hat auch Spaß gemacht, und ich bin bis heute dankbar, dass ich all das erleben durfte. Aber es war Annas und Daniels Leben, nicht meins.
Einer der engen Freunde von Daniel Keel war Loriot – so eng, dass Daniel ihm nach nur einem Monat hinterhergestorben ist. Das war 2011. Dem Loriot waren die Züricher auch manchmal zu viel, genau wie mir. Nicht, dass wir sie nicht mochten, aber wir Deutschen denken schneller, zumindest sprechen wir schneller als die Schweizer. Bei einem Autorenausflug nach Sils Maria liefen wir dann auch schneller.
Anna, Daniel, die beiden Söhne und ich hatten in Sils Maria den Schriftsteller Urs Widmer getroffen und waren anderthalb Kilometer zu einer Hütte gewandert, wo wir an einem Kaminfeuer Röschti und Wurst aßen. Es war warm und gemütlich, und ich hätte einschlafen können. Den ganzen Tag hatte mir der Kopf gepikst von der dünnen Luft da oben, mir war total kalt und auch ein bisschen langweilig. Ich wollte gar nicht mehr raus, um zurück zum Hotel zu laufen.
Aber dann stieß Loriot dazu und trat mit uns den Rückweg an. Wir hatten uns vorher schon einmal im Opernhaus in Zürich getroffen, aber er war total auf die Musik konzentriert gewesen, während ich viel zu viel Champagner trank, und so hatten wir uns nicht näher unterhalten. Jetzt liefen wir den anderen voran, rechts und links von uns türmte sich der Schnee drei oder vier Meter hoch. Aber da wir uns sofort in ein Gespräch vertieften, waren Kopfweh und Kälte schnell vergessen. Ich fand an ihm besonders beeindruckend, dass man ihm nicht ansah, wenn er einen Witz machte. Trockenen Humor mag ich sehr, und der Loriot hat so eine Art gehabt, dass man lachen musste und gleichzeitig irgendwie berührt war. Durch seine Beobachtungsgabe und seinen Witz konnte er die grässlichen Seiten der Menschen gnadenlos offenlegen, ohne sie dabei zu verletzen.
An diesem Tag in den Bergen von Sils Maria war er aber gar nicht so zum Scherzen aufgelegt. Wir unterhielten uns über die Buchbranche, aber auch über die Komik und Tragik der menschlichen Existenz. Ich hatte ihm
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