Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
hingegen war sehr talentiert, wusste aber, dass sie ihr Talent hintanstellen müssen würde, wenn sie bei Daniel bliebe. Darüber haben sie anfangs wohl heftig gestritten, sodass Anna dann einmal alles zusammenpackte und sich mit ihrem Käfer allein nach Mailand aufmachte, um dort Malerin zu werden. Aber er hat sie zurückgeholt und ihr Liebe und Dankbarkeit geschworen. Also wurde geheiratet.
Meist waren ihre Streitereien rührend. Einmal habe ich gesehen, wie Daniel aus Wut ein Kleid von Anna in Fetzen schnitt. Er saß mit der Schere auf dem Bett, schnaufte und knurrte vor sich hin und sezierte den Stoff akkurat in ähnlich große Stücke.
Auch eine Art, seiner Wut in Ruhe Ausdruck zu verleihen: Denn eigentlich war Daniel ein eher ruhiger Typ. Ein neugieriger Mann, der lieber zuhörte als redete. Einer, dem man stundenlang seine Geschichte erzählen konnte. Das war ja was für mich, wenn ich einmal anfange! Reden, reden, reden, das ist die beste Therapie für mich.
Daniel saß dann oft da, rauchte Zigarre und hörte einfach nur zu. Und irgendwie erkannte er sich ein bisschen in mir wieder, denn er war als Maler und Autor gescheitert wie ich als Musikerin und Schauspielerin. Er hatte die Schule abgebrochen und im Buchhandel eine Lehre gemacht, genau wie ich auch. Gleich bei unserem ersten Treffen sagte er: „Eine abgebrochene Buchhändlerin darf bei mir schlafen. Ich bin ja auch ein Abbrecher.“ Wir haben uns gut verstanden.
Zu Anna hatte ich immer den engeren Draht, aber vor Daniel hatte ich einfach sehr viel Respekt. Ich nahm ihn zum Beispiel nicht in den Arm und gab ihm keinen Gutenachtkuss. Das gehörte sich meiner Ansicht nach nicht. Aber ich vertraute ihm. Er war der erste richtige Vater, den ich hatte.
An den Wochenenden zog er sich meist mit Bergen von Manuskripten in den Landsitz zurück, den die Keels neben dem Haus der alten Dame gemietet hatten. Da verbrachte er seine Zeit, wenn er Ruhe brauchte.
Ich begegnete auch hin und wieder einem Freund der Familie, der damals schwer krank war und sich große Mengen Schmerzmittel einflößte. Ich erzähle von ihm, weil ich ihn oft voller Gier ansah: Wenn ich an seinen Medikamentenschrank gekommen wäre, hätte ich mich nicht zurückhalten können. Es klingt wohl ziemlich pietätlos, aber ich war damals neidisch auf die Schmerzmittel, die ihm das Leid erträglich machten.
Anna, deren Refugium ihr Atelier in der Hottinger Straße mit Schlafzimmer und Bad war, wurde für mich beste Freundin und Ersatzmama in einem. Sie nahm mich tröstend in den Arm, wenn ich Liebeskummer hatte, sie spornte mich an zu gesunder Ernährung und Sport, lehrte mich kochen, tauschte Kleider mit mir und lieh mir ihre teuren Pumps. In Zürich lässt sich ganz prima shoppen, aber ansonsten ist es eine zwar schöne, aber ziemlich langweilige Stadt.
Die Leute sind nett, aber auch irgendwie versnobt. Wehe, du willst mit einem Bürli in ein Taxi steigen, also einem Brötchen – da nimmt dich kein Fahrer mit. Es dauerte keine drei Wochen, bis ich mich ähnlich wie damals in Kaltenkirchen fühlte: total gelangweilt, zumindest, was die Stadt betraf. Du kannst da wirklich nichts erleben, um Mitternacht klappen die die Bürgersteige hoch. Du kannst nicht einmal spontan in ein Restaurant gehen, ohne Reservierung läuft da gar nichts. Das ist nichts für mich, ich weiß doch nicht schon zwei Tage vorher, dass ich am Samstag um genau 19 : 30 Uhr Hunger habe. Da kaufe ich mir lieber ein paar frische Gambas auf dem Markt und bereite mir die zu Hause zu, wenn mir danach ist.
Für die Keels zu arbeiten, machte mir dafür umso mehr Spaß. Ich war so etwas wie eine Assistentin, habe zum Beispiel regelmäßig einen Karteikartenkasten durchgeforstet, um zu sehen, wer von den Freunden und Autoren Geburtstag hat. Dann habe ich einen Strauß Blumen bestellt und den Versand veranlasst. Auch für den Verlag, für Daniels Büro zu Hause, für Annas Atelier und für die Abendessen, die bei den Keels stattfanden, kaufte ich alle paar Tage frische Blumen.
Zwei-, dreimal die Woche gab es in irgendeiner Form ein Dinner, zu dem Autoren und Maler geladen wurden. Federico Fellini war da, Georges Simenon, Patrick Süskind, Patricia Highsmith. Daniel sah neben seiner hübschen, blonden Frau immer so alt aus für mich, dabei war er im Vergleich zu seinen Gästen meist der Jüngste – mal abgesehen von Patrick Süskind, natürlich. Gerade in der Zeit, als ich bei den Keels lebte, wurde „Das Parfum“ ein
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