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Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Titel: Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane V. Felscherinow , Sonja Vukovic
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riesiger Erfolg.
    Man könnte vielleicht meinen, dass das ein Roman für mich wäre; mein eigenes Buch beginnt ja mit dem Pissgeruch in der Gropiusstadt, und generell dreht sich vieles in meinem Leben um Gerüche. Aber ich mochte „Das Parfum“ gar nicht. Ich fand Jean-Baptiste Grenouille total abstoßend und verstand seine Welt nicht. Wenn ich etwas nicht riechen kann, dann weil mich der Geruch belästigt – und dabei handelt es sich meist um Körpergeruch. Was für einen Knall muss man haben, andere Menschen zu töten, um deren Körpergeruch zu konservieren? Das Verständnis für so etwas geht mir ab, das für Gewalt und Mordlust generell.
    Aber Süskind hat das nicht gestört. Er war ein zurückhaltender Kerl. Und meine Meinung konnte ihm wohl auch egal sein, denn ein paar Millionen Leser sahen das offenbar völlig anders.
    Eigentlich gab es meistens etwas Einfaches bei den Keels, Spaghetti mit Tomaten-Hackfleisch-Soße oder Fisch zum Beispiel. Ein paar Flaschen guter Bordeaux waren der größte Luxus auf dem Tisch – und der war meistens auch noch geschenkt, pflegte Daniel zu scherzen. Sie waren echt keine Darsteller, aber die Abende oft Theater genug.
    Es sind tolle Erinnerungen, obwohl wir „Kinder“, Philipp, Köbi und ich, solche Abendessen eigentlich nicht so gern mochten. Da es in aller Regel genügte, wenn einer von uns dabei war, wechselten wir uns ab. Und wenn wir uns dabei mal nicht einigen konnten, spielten wir Schnick, Schnack, Schnuck. An einem Abend hatte ich das Spiel verloren und saß links von Friedrich Dürrenmatt. Rechts neben ihm saß seine etwas jüngere, zweite Frau. So gehört sich das ja. Der Herr, der links von der Frau sitzt, ist der Tischherr der Dame. Das hat mir Anna alles beigebracht. Ich mochte Dürrenmatt sehr gern, aber auch seine Bücher sind nichts für mich.
    Vielleicht, weil man darüber schon in der Schule nachdenken und zwangsweise diskutieren musste, um sie „richtig“ zu verstehen, das finde ich zu anstrengend. Warum sagen die Leute nicht geradeheraus, was sie sagen wollen? Genau diese Frage habe ich Dürrenmatt aber natürlich nicht gestellt, als wir auf seine Arbeit zu sprechen kamen, sondern nur bemerkt, dass Literatur ja auch Geschmackssache sei. In einem Spielfilm habe ich neulich den Satz einer Verlegerin aufgeschnappt, die sagte: „Du kannst die Persönlichkeit von Schriftstellern kritisieren. Dann sagen die: Ich kann mich ändern. Aber bei der Arbeit, da verstehen sie keinen Spaß.“
    Der berühmte Dürrenmatt war solche Frechheiten nicht gewohnt. Als ich erwähnte, dass ich „Der Richter und sein Henker“ langweilig gefunden hätte, biss er sich auf die Lippe, räusperte sich und schob seine schwere Brille wieder hoch auf die Nase.
    Anna und Daniel haben geschmunzelt, das habe ich gesehen. Und einige Zeit später legten sie mir Dürrenmatts gerade erschienene Ballade „Minotaurus“ auf mein Kopfkissen, wie sie es mit den neuen Büchern ihrer Autoren immer machten: Darin ist das kinderfressende Ungeheuer mit dem Stierkopf ein armer Tropf, der orientierungslos umherirrt. Damals war ich aber noch nicht in Griechenland gewesen, wusste also noch nichts von Naxos und Ariadne, weshalb mich Dürrenmatts „Minotaurus“ nicht sonderlich interessierte.
    Die Keel-Jungs und ich haben Dürrenmatt manchmal „Opa“ genannt, weil er mit seinem weißen Haar, der knubbeligen Nase und dem dicken Bauch wie ein Großvater aussah und weil er noch ein paar mehr Geschichten als ich zu erzählen hatte, die den Abend auflockerten und uns zum Lachen brachten.
    Im Unterschied zu ihm konnte ich seine Frau nicht leiden, weil ich zu wissen glaubte, weshalb sie mit ihm zusammen war. Ich weiß nicht, ob sie am Ende alles geerbt hat. Aber wenn man nicht blöde ist, bleibt man, bis es vorüber ist. Wenn ich mich recht entsinne, hat sie sogar selbst ein Buch über ihr Leben mit Dürrenmatt geschrieben. Ihr Gehabe ging vor allem Patricia Highsmith auf die Nerven. Highsmith war auch beim Diogenes-Verlag unter Vertrag. Welterfolg hatte sie mit „Zwei Fremde im Zug“ und „Mr.   Ripley“, der Geschichte eines Hochstaplers, der die Identität eines anderen annimmt, sich in die Gesellschaft feiner Leute schleicht und dabei über Leichen geht.
    Sie stammte aus Texas, rauchte Kette und ich mochte ihre schroffe Art. Das beruhte allerdings nicht auf Gegenseitigkeit. Noch weniger als mich mochte die Highsmith allerdings Dürrenmatts Frau und gab ihr eine Watsche nach der nächsten –

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