Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
wäre.
Natürlich hatte ich mein Geld draußen auf dem Konto. Meine Mutter, die damals noch eine Vollmacht besaß, hätte es mir gebracht. Aber ich wollte etwas zu tun haben. Und wenn ich ganz nebenbei auch noch ein paar Mark verdienen konnte – toll!
Mein erster Job war in der Holzwerkstatt. Der Meister war total nett, aber die Arbeit schrecklich, weil ich handwerklich überhaupt nicht begabt bin. Meine erste Aufgabe war es, eine Obstschale herzustellen, was an und für sich eine tolle Sache sein könnte. Aber nicht für mich. Ich bekam ein großes Stück Holz und musste die Stücke daraushauen, dann schleifen und feilen. Ich habe stundenlang daran rumgeschliffen – bis mir die Hände wehtaten. Aber egal, wie viel Mühe ich mir gab: Meine Obstschale blieb krumm und schief.
Wenn man nett sein will, nennt man so etwas, was ich da fabriziert habe, Kunst. Aber eigentlich konnte es weg.
Die Eimer und Kisten und Regale, die dort in der Gefängniswerkstatt von den Knackis hergestellt werden, landen später bei einem Flohmarkt auf dem Anstaltsgelände – aber meine „Arbeiten“ konnte man echt keinem anbieten. Also warf ich sie weg.
Mit den Farbpaletten hatte ich genauso wenig Glück. Ich sollte die Farben lernen, Übergänge, Mischungen und so weiter. Aber ich kann schon ganz gut einschätzen, wozu ich eine Begabung habe und wozu nicht. Nach drei Wochen sagte ich: Kommt, das bringt doch alles nichts! Weil im Knast jeder froh ist, wenn er einen Job bekommt, habe ich in der Holzwerkstatt aber erst gekündigt, als ich die Zusage für den Hausmädchenjob hatte. Die Arbeit habe ich dann bis zu meiner Entlassung gemacht.
Meine Nachfolgerin wurde eine Neuinsassin, der wir nachsagten, dass sie so gelbe Zähne habe, weil sie die Knochen ihres Ehemannes abgeknabbert hat.
Zwei Tage bevor sie bei uns ankam, lasen wir in der Zeitung, dass in Moabit eine Mutter in U-Haft sitzt, die zusammen mit ihren vier Kindern ihren Ehemann umgebracht und im Keller entsorgt hat. Es gab zwei Tageszeitungen, die BZ und den Tagesspiegel, und wenn über aktuelle Kriminalitätsfälle berichtet wurde, dann wussten wir schon im Vorhinein, wer bald zu uns kommen würde.
In der BZ stand, dass eine ganze Familie den Vater entsorgt hatte. Der Mann war wohl ein Schwein gewesen, ein Säufer, der die Familie übel malträtierte. Jedenfalls hatte der Kerl wohl angefangen zu stinken, so wurden die Nachbarn aufmerksam. Und die Familienmutter, die nun bei uns einfuhr, hatte so furchtbar gelbe Zähne. Das kommt vom Knochenknabbern, sagte dann die Erste im Scherz, und die anderen plapperten das nach. Diese Mutter war aber ganz fit und hat sich gut gegen die Häme gewehrt. Sie sagte nur: „Na was denn, nicht mal der Hund wollte den Alten anknabbern, so widerlich war der!“
Es gab keinen richtigen Knastkiosk. Stattdessen stand auf einer Pappe das Warenangebot, wie ein Menü im Restaurant. Nach Einschluss hatte ich genug Zeit, mir genau auszurechnen, wie viel Tabak und so ich mir leisten konnte von dem, was ich verdiente. Das sollte gut überlegt sein, denn man konnte nur zweimal im Monat einkaufen. Alle zwei Wochen kamen die Händler, die richtige Abzockerpreise hatten. Ich habe meinen Einkauf also immer gut vorbereitet.
Dann ist passiert, was passieren musste: Ich habe mich in eine Frau verliebt.
In eine Wärterin, sie hieß Frau Blume. Die Liebe muss ja irgendwo hin. Ich habe Herzklopfen bekommen, wenn ich sie sah. Es war eine kleine, zierliche, gut durchtrainierte Frau mit kurzen, dunkelblonden Haaren. Aber nicht so ein Mannweib, sie hatte ganz sanfte nussbraune Augen und zarte Gesichtszüge. Eher der Typ junge, dynamische Mutti. Sie gab einem das Gefühl, dass sie sich kümmerte, dass sie uns nicht verurteilte und uns individuell behandeln wollte, so wie es jeder brauchte.
Ab und zu war auch Frau Blume dran, mich bei der Arbeit zu begleiten, und dann verbrachte ich ein paar Stunden mit ihr an meiner Seite. Wie ihr Name schon sagte, roch sie auch total gut, wie ein frisches Blumenbouquet. Und ich hatte jedes Mal den Bauch voller Schmetterlinge, wenn sie mit mir arbeitete, am Ende war mein einziger Gedanke: Wann kommt sie wieder?
Im Knast klammert sich jeder an irgendetwas. Zu den meisten Menschen dort drinnen hätte man keinen Bezug, wenn man nicht zusammen eingesperrt wäre. Und irgendwie stellst du unterbewusst doch einen her, machst dir selbst vor, dass du tatsächlich etwas für all die Leute empfindest, dass sie deine Familie und deine Freunde
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