Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
ist – aber hätte Angela Merkel mich 2009 gefragt, ich hätte ihr gleich sagen können, dass wir von dem Geld, das wir den Griechen gerade leihen, nie etwas zurückbekommen.
Das bedeutet nicht, dass ich es denen nicht gönne. Die Griechenlandkrise ist eine Folge der Freiheit, die das Volk lebt. Die Freiheit von Vorurteilen und gesellschaftlichen Zwängen. Mir hat das sehr viel gegeben, so leben zu dürfen. Deshalb freue ich mich, wenn meine zweite Heimat Hilfe bekommt. Aber klar ist auch: Betrug und Korruption waren schon immer Disziplinen, in denen die Griechen penible Sorgfalt und Ernsthaftigkeit an den Tag legten. Man kann dort ein sehr schönes Leben haben, wenn man das beherzigt und die Spielregeln beherrscht. Für ein bisschen Extra-Geld erhält man extra guten Service. Im Gegenzug bekommst du quasi an jeder Ecke von ein paar gut gelaunten, offenen und freundlichen griechischen Barbesitzern ein paar Bier aufs Haus. So rechnet sich das, man muss eben nur wissen, wie das läuft.
Ich glaube, Griechenland war eines der letzten europäischen Länder, die Abtreibung legalisiert haben, Ende der Achtzigerjahre muss das irgendwann gewesen sein, kurz bevor ich dort lebte. Maria hat mir damals, als ich von Panagiotis schwanger war, erzählt, dass Abtreibungen lange ein riesiges, illegales Business waren. Frauen aus ganz Europa sind jahrzehntelang nach Griechenland gereist, um abzutreiben, weil die Eingriffe dort einfach und billig zu haben waren. Rund 200 Mark hat das nur gekostet – natürlich an der Steuer vorbei. Ein bekannter Arzt erzählte Panagiotis und mir, dass er bis zu 100.000 Mark im Jahr nur durch Abtreibungen verdient hat. Griechenland hatte damals die weitaus höchste Abbruchrate in ganz Europa, dieser Freund sprach von mehr als einer halben Million pro Jahr.
Was für eine erschreckend hohe Zahl! Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie sehr einen das mitnimmt. Sein eigenes Kind zu töten ist ein wirklich gewaltsamer Akt, der nicht spurlos an dir als Mutter und auch nicht am Vater vorbeigeht. Viele Beziehungen brechen nach so einem Eingriff auseinander, denn wenn man sich entscheidet, gemeinsam keine Verantwortung übernehmen zu wollen und ein Kind nicht zusammen großziehen zu können, dann wird einem dadurch meist auch bewusst, dass das, was man hat, nicht für die Ewigkeit ist. Dass etwas fehlt, um wirklich aneinander zu glauben. Das tut sehr weh.
Es ist wirklich erschreckend, wie leichtfertig man als junger Mensch mit Verhütung umgeht, und selbst wenn es heute ganz selbstverständlich ist, dass jede Frau bis zur zwölften Woche nach der Befruchtung abtreiben darf – wer redet schon darüber? Nein, Schwangerschaftsabbrüche sind Gott sei Dank auch heute noch nichts Selbstverständliches, aber damals war das eben verboten. Auch viele deutsche Frauen ließen sich in Griechenland behandeln, bevor der Paragraf 218 in Deutschland in Kraft trat.
Dass man dafür nicht mehr in ein griechisches Gefängnis kam, dafür hat die Mutter von Giorgos Papandreou gesorgt. Der Vater von Giorgos, Andreas Papandreou, war griechischer Ministerpräsident, als ich dort lebte. Und er hatte den Frauen das Wahlversprechen gegeben, Abtreibung zu legalisieren.
Denn obwohl es so häufig praktiziert wurde, drohten den Frauen bis zu drei Jahren Gefängnis, wenn sie abtrieben, obwohl keiner der gesetzlich festgelegten Ausnahmefälle eingetreten war: Behinderung des Kindes, Vergewaltigung der Mutter oder Lebensgefahr für einen oder gar beide.
Von einer Legalisierung versprachen sich die Frauen auch, dass die Eingriffe menschenwürdiger und weniger lebensbedrohlich werden würden. Denn da alles geheim ablaufen musste, konnten sich die Frauen nicht an die Polizei wenden oder gar Schmerzensgeld oder Schadenersatz einfordern, wenn die Ärzte pfuschten und sie zum Beispiel für immer unfruchtbar machten.
Als Andreas Papandreou die Gesetzesänderung trotz Ankündigung zunächst nicht in Angriff nahm, setzte seine Frau ihn öffentlich unter Druck. Sie drohte ihm nicht mit Scheidung, sondern mit dem Aufbegehren irgendeiner bedeutenden Frauenvereinigung, deren Vorsitzende sie war. Panagiotis hat mir von all dem erzählt, weshalb ich mich entschied, den Eingriff in Griechenland machen zu lassen.
Doch das war ein großer Fehler. Zwar machte man sich nicht mehr strafbar, ansonsten hatte sich aber kaum etwas geändert. Natürlich hatten die Ärzte nicht sofort in neue Geräte und bessere Ausbildung des Personals investiert – warum
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