Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
sind. Zumindest ging es mir so, und ich glaube, es ging den meisten so.
Frau Blume lächelte immer, die hätte ich selbst draußen sehr gern gemocht. Sie war ein guter Mensch. Streng, natürlich. Aber gut. Das gefiel mir. Auch wenn ich es eigentlich nicht so toll finde, wenn Frauen im Gefängnis arbeiten. Man stumpft da echt ab und muss sich eine harte Schale zulegen, und das tut den meisten Frauen nicht gut. Wir sind ja sensible Wesen und irgendwie nicht ganz wir selbst, wenn wir das unterdrücken müssen. Emotionen machen uns erst schön.
Frau Blume war trotz ihres Jobs sehr sensibel und merkte natürlich, dass ich Gefühle für sie hatte. Aber sie durfte das nicht erwidern. Vielleicht war ihr das auch nicht zum ersten Mal passiert, die Art und Weise, wie sie damit umging, ließ mich das vermuten. Denn weder mied sie mich, noch stellte sie mich zur Rede oder behandelte mich besonders schlecht oder gut.
Sie schenkte mir Aufmerksamkeit, weil sie respektierte, wie ich auf meine Einsamkeit im Knast reagierte. Nicht mehr und nicht weniger.
Aber so kam ich mir nicht ganz so doof vor, wie wenn sie mich eiskalt hätte auflaufen lassen oder gar zur Rede gestellt hätte. So gemein war sie nicht.
Aber das ist auch schon die ganze Geschichte. Mehr ging ja nicht. Nach meiner Entlassung hätte ich noch einmal probieren können, ihr näherzukommen. Aber dann war ich draußen, und draußen ist eben alles anders. Es war jedenfalls nett von ihr, mich nicht zu demütigen, das hätte sie in ihrer Position locker gekonnt.
Nachts habe ich seitenweise Briefe geschrieben. Insgesamt 425 Briefe bekam ich in die Haftanstalt, etwa 500 habe ich von dort weggeschickt. Die Briefe kamen von Fans, aber vor allem von Freunden und von meiner Briefliebe Gode Benedix.
Es standen keine Liebesbekundungen darin, vielmehr hielten wir uns einfach auf dem Laufenden, was wir beide so erlebten. Ich schrieb ihm von den Beobachtungen, die ich in der JVA machte und die mich für mein Leben prägen würden, er von den neuesten Geschichten aus dem Dschungel und von seinen Plänen, neben der Musik auch eine Schauspielkarriere wie Otto Sander anzustreben.
Als ich rauskam, war es deshalb so, als hätten wir die letzten zehn Monate miteinander verbracht. Wir waren uns wirklich nähergekommen.
Ich kann einfach besser schreiben als sprechen. Wenn ich jemanden mag, fällt es mir unglaublich schwer, ihn persönlich anzusprechen, weil ich Angst habe, zurückgewiesen zu werden.
Dann gucke ich auf den Boden, weil ich eingeschüchtert bin, zappele ganz viel und stottere, ganz schrecklich, ich mag mich dann selbst nicht und fürchte, dass mein Gegenüber mich auch nicht mag. Beim Schreiben geht alles ganz einfach, denn ich kann noch mal von vorn anfangen, wenn es mir nicht gefällt. Und wenn keine Antwort kommt, dann kann ich mir einreden, dass es nicht an mir liegt, sondern an einem Mangel an Zeit.
Die zehn Monate in Plötzensee gingen für mich schnell vorbei, weil ich sie nicht schlimm fand, man gewöhnt sich halt an alles. Die Psyche hat wirklich gute Schutzmechanismen, sodass man sich in schwierigen Situationen an den schönen Dingen festhält. Auch wenn man sich dabei etwas vormacht. Das sind Verdrängungsmechanismen, die einem helfen. Das Gute im Schlimmen zu sehen macht es irgendwie erträglicher.
Und ich brachte sogar Geld mit nach Hause. Wie sich bei meiner Entlassung herausstellte, war ich extrem sparsam gewesen, 800 Mark bekam ich noch als ausstehenden Lohn. Plötzensee verließ ich mit einer Menge positiver Energie. Neben meiner neuen Liebe war das eine neue Chance, in Zukunft ohne Heroin auszukommen. Zehn Monate war ich nun clean.
Das zweite Leben
6
H ätte Angela Merkel mich gefragt! Ich könnte ihr interessante Geschichten über die Griechen erzählen. Von Dörfern, die offiziell gar nicht existieren, von Häusern, die nirgendwo eingetragen und die, an der Steuer vorbeigebaut, lukrative Renditeobjekte für die Hellenen sind. Ich hätte mit ihr eine „Griechisch für Geldgeber“-Reise über die Inseln machen und ihr überall Restaurants, Hotels, Bars und Clubs zeigen können, die offiziell soziale Einrichtungen sind und mit EU-Geldern subventioniert werden; Familien vorgestellt, die ihr ganzes Vermögen in der Schweiz oder in deutschen Immobilien vor der Steuerfahndung versteckt haben; und Ärzte, die sich mit illegalen Abtreibungen eine goldene Nase verdienten. Ich habe keine Ahnung, wie wichtig das griechische Finanzsystem für Europa
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