Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
erstes Kind bekommst, dann weißt du doch nicht genau, wann es nun jetzt wirklich so weit ist. Da suchst du nur Zuflucht – und die schicken dich weg!
Nach dem Aufstehen ging ich zu meiner Schwester Anette. Sie fragte mich: Kommen die Wehen regelmäßig? Nein, kamen sie nicht, aber wenn, dann rissen sie mich fast auseinander. Danach hatte ich jedes Mal so einen krassen Adrenalinschub, dass ich einfach drauflosplapperte.
Nebenbei versuchte ich, Sebastian aufzutreiben. Er hatte so einen Piepser, wie ihn Ärzte haben. Als er mich am frühen Abend endlich zurückrief, stand er in einer Telefonzelle nicht weit vom Tresor, einem der bekanntesten Techno-Clubs Deutschlands. Er fragte: „Soll ich kommen?“ Aber er klang für mich, als hätte er was eingeworfen. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Aber ich wollte ihn in diesem Zustand auf jeden Fall nicht bei mir haben, daher antwortete ich: „Nein, schon okay, ich denke, mir ist nur nicht so gut.“ Nachdem ich seine Stimme gehört hatte, hörten die Wehen erst einmal auf.
Am nächsten Morgen fuhr ich noch einmal zu meiner Frauenärztin. Dort kam ich an den Wehenschreiber. Es war herrlich ruhig in diesem Zimmer, sie ließen mich da eine Weile liegen, und ich hörte nur das Rattern der Blätter und den Herzschlag meines Babys. Ich war so selig, dass ich einschlief. Wehen hatte ich natürlich nicht mehr.
Als ich wieder zu Hause ankam, war auch Sebastian endlich da. Er hatte geschlafen und da er sonst so selten da war, fielen wir sofort übereinander her, von hinten. Das ist wunderschön, wenn du schwanger bist.
Aber danach war mir sofort zum Heulen, weil mir klar wurde, dass wir keine Familie sind. Und dann gingen die Wehen richtig los.
Wir lagen im Hochbett, und ich rutschte die Leiter runter, weil ich vor Schmerzen nicht mehr klettern konnte. Sebastian schlief indes ein. Dann machte ich wohl alles falsch, weil ich so schreckliche Angst hatte. Ich habe mich mit dem Kopf auf den Boden gelegt und den Arsch an meinem Ledersofa nach oben gestemmt. Ich wollte nicht, dass es rauskommt. „Bleib drin, bitte bleib da drin, ich weiß einfach nicht, wie ich dich zur Welt bringen soll. Bitte komm noch nicht“, habe ich ständig geheult und mich so fest an die Couch gekrallt, dass mir alle Fingernägel abgebrochen sind.
Irgendwann, als meine Fruchtblase geplatzt war, warf ich irgendwas aufs Bett und schrie Sebastian an: „Wach endlich auf, ich sterbe!“ Dann rief er den Krankenwagen. Am 24. September um neun Uhr morgens kam die Ambulanz und brachte mich in ein Neuköllner Krankenhaus.
Zwischendurch hat der Arzt nur immer wieder Sebastian angesprochen: „Ich will hier nicht zwei Patienten haben, junger Mann. Sie sind blass, setzen sie sich hin.“ Dabei hat er sich eigentlich ganz tapfer angestellt. Weil meine Venen vom Fixen ganz kaputt sind, war es den Schwestern fast unmöglich und für mich sehr schmerzhaft, einen Zugang zu legen. Sebastian stand neben mir, als sie verzweifelt nach einer Stelle in meinem Arm zum Einstechen suchten, und hat mir die Hand gehalten und die Stirn abgetupft. Ich habe geschwitzt wie verrückt und immer wieder geschrien: „Sebastian! Sebastian!“ Es tat so verdammt weh.
Das hat ihn alles schon ein bisschen überfordert, ich rate wirklich niemandem, den Mann in den Kreißsaal mitzunehmen. Es ist sinnlos für beide, das ist eine Tortur, die man dem Mann auferlegt, wenn er all das mit ansehen muss. Und es ist peinlich. Ich habe mich wahnsinnig geschämt, als er zusehen musste, wie mir der Assistenzarzt den Damm zunähte.
Nach zwei Stunden war alles vorbei. Aber diese Geburtsschmerzen: Nie wieder! Das Pressen hat für nichts in der Welt funktioniert, mir sind fast die Augen aus dem Kopf gequollen, ich war überhaupt nicht tapfer. Sie mussten mein Baby schließlich mit der Zange holen, alleine hätte ich ihn niemals rausgekriegt. Der Junge war 46 Zentimeter groß und wog 2.800 Gramm. Er war klein und gar nicht so zerdrückt wie manch anderes Neugeborene. Vom ersten Moment an sah Phillip sehr niedlich aus. Als ich ihn ansah und er schrie, weil er das Licht der Welt erblickte, da war ich der glücklichste Mensch von allen.
Es gibt gar keine Worte, die dieses Gefühl beschreiben können. Da war nun dieses winzige Wesen, das mich jetzt brauchte. Und es war alles, was ich brauchte. Alles andere war mir egal. Ich gab ihm zwei Vornamen. Einer davon ist Phillip. Nach Philipp Keel aus Zürich. Nur etwas anders geschrieben.
Nach der Geburt bin ich
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