Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
gehört.
Entführungen
7
W ir waren erst höchstens 15 Minuten auf der Autobahn, als schon der Chef des Taxiunternehmens anrief. „Aus dem Jugendamt in Potsdam-Mittelmark ist ein Kind entführt worden, laut Polizei sind Mutter und Kind in einem Großraumtaxi geflohen“, sagte er über Funk. Seine Stimme krächzte und knackste in der Leitung, es war eine dieser von Unwettern durchzogenen Sommerwochen, und es regnete in Strömen. „Sämtliche Taxiunternehmen werden um Mithilfe gebeten. Weißt du etwas darüber, Klaus?“
Er betonte den Namen seines Fahrers so, als stelle er keine Frage, sondern ein Ultimatum. Mir blieb das Herz stehen. „Gott, sind die schnell, das ist doch alles gerade erst passiert“, dachte ich panisch. Ich sah Phillip an, hielt mir den Finger vor die geschlossenen Lippen. „Psst!“
Mein Hinweis war eigentlich unnötig. Phillip ist ein schlaues Kind, er gab keinen Mucks von sich. Aber in der Aufregung wusste ich nicht, ob er ganz klar war. Oder besser: Ich war nicht ganz klar, ich stand völlig neben mir. Man wollte mir mein Kind wegnehmen, ich hatte noch nie in meinem Leben solche Angst.
Eine kurze Weile war es still im Auto. Der Taxifahrer sah über den Spiegel an der Frontscheibe zu uns auf den Rücksitz, während vor ihm die Scheibenwischer hin- und her schrubbten. Er stieg nicht vom Gas, sondern antwortete über Funk: „Ich weiß von nichts.“ Ich atmete tief aus und bemerkte dabei, dass ich schon lange Sekunden den Atem angehalten haben muss. Klaus’ Chef atmete auch aus, aber es klang nicht wie Erleichterung, sondern wie ein Seufzer. Er kannte seinen Fahrer mindestens genauso gut wie ich: Klaus war ein Schlitzohr. „Wo bist du denn gerade, Klaus? Hast du Fahrgäste?“, fragte er noch einmal nach. „Ich bin auf der Autobahn. Alles ruhig hier bei mir“, antwortete Klaus.
Später, als alles vorbei war, habe ich Klaus noch einmal getroffen und ihm 30 Euro gegeben. Er war ein flüchtiger Bekannter, den ich gebeten hatte, Phillip und mir zu helfen. Aber es war alles andere als selbstverständlich, dass er dichtgehalten hat. Er hätte großen Ärger bekommen können. Ich werde ihm seine Loyalität nie vergessen.
Drei Stunden vorher, es war etwa 14 Uhr, war ich am Südkreuz bei Edeka einkaufen gewesen. Wenn ich aus der Stadt vom Arzt zurück nach Brandenburg fahre, nehme ich die S25 Richtung Teltow Stadt und steige fast immer am Südkreuz kurz aus, um einzukaufen. Denn beim Netto bei uns draußen gibt es nicht alles, was ich mag und was Phillip gern isst. Außerdem gibt es da am Bahnhof Schließfächer.
Ich falle immer wieder auf Menschen herein, die mich betrügen und bestehlen. Aber ich habe immerhin insofern dazugelernt, als dass ich mein Hab und Gut nun verstecke. Meine Würde kann man mir vielleicht nehmen, aber mein Geld und mein Eigentum bekommt man nicht. Das schließe ich weg. Damit habe ich angefangen nach der Sache mit Beckermann. Das ist nicht sein richtiger Name. Aber er ist einer der wenigen Menschen, denen ich begegnete, vor denen ich mich bis heute fürchte. Deshalb nenne ich seinen wahren Namen nicht. Er ist ein Dreckskerl. Und er war mitverantwortlich dafür, dass man mir das Wertvollste im Leben weggenommen hat.
Beckermann ist der Adoptivsohn eines berüchtigten Berliner Drogenpaten. Seine Mutter hatte den Stiefvater gegen Geld geheiratet. Er war Libanese – ich weiß nicht, ob er heute noch lebt – und brauchte eine Aufenthaltsgenehmigung. Damals, in den Siebziger- und Achtzigerjahren, war das mit der Scheinehe in Deutschland noch einfacher als heute.
Der Libanese adoptierte Beckermann, als der noch ein Kind war. Und natürlich brachte er ihm bei, was er konnte, so wie es jeder Vater tut. Ob die Frau von seinen Geschäften wusste, weiß ich nicht. Ich zumindest habe erst spät, zu spät, davon erfahren, aus welchem Umfeld Beckermann kam.
Beckermanns Stiefvater war einer der Mächtigen, wann immer es um Kokain und Methamphetamine ging. Und somit generell ein Mächtiger, denn während Heroin die Droge für das Fußvolk ist, ist Kokain eher etwas für Bundestagsabgeordnete, Filmproduzenten, Musiker und Anwälte – das habe ich schon am Set von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ erlebt.
Kokainschnupfer sind immer so manisch, sie kauen ständig auf Kaugummi oder ihren eigenen Lippen rum und trinken viel, denn der Mundraum ist von dem Zeug unglaublich trocken. Bei unserer Promotiontour in den USA haben Bernd und ich nicht so viel Zeit miteinander
Weitere Kostenlose Bücher