Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
verbracht, aber als wir einige Monate später zufällig in denselben Flieger von München nach Berlin einstiegen, bot ich ihm was an. Wir haben uns dann mit dem Gang zum Klo abgewechselt. Bestimmt dreimal in dieser einen Flugstunde zogen wir jeweils eine Line Kokain. In der Biografie, die seine Witwe nach Bernds Tod über ihn geschrieben hat, ist von dieser Neigung die Rede. Deshalb muss auch ich kein Geheimnis mehr daraus machen. Das Zeug ist teuer, es kostet bis zu 90 Euro je Gramm. Damals fast 180 Mark.
Zu meinen besten Zeiten, kurz bevor ich meinen Heroin-Rückfall hatte, habe ich zwei, drei Gramm am Tag geschnieft. Das ist verdammt viel, hat mir aber durch die anstrengende Zeit geholfen, in der ich zu vielen Talkshows in ganz Deutschland und zu Pressereisen unter anderem in Italien und England unterwegs war. Ich musste damals riegelweise die schwersten Schlaftabletten schlucken, um wieder runterzukommen, bevor ich Amok laufe.
Zum Verständnis, wie sehr zwei Welten aufeinander prallen, wenn sich ein Kokser und ein Morphinist begegnen: Junkie ist nicht gleich Junkie. Morphinisten sind nicht so aggressiv wie viele Kokser und haben im Gegensatz zu denen mit organisiertem Verbrechen meist nichts zu tun. Die klauen Passanten das Portemonnaie, ja. Und sie prügeln sich um ein Stück Schokolade. Aber Fixer sind keine Zuhälter und keine Schleuser, die prostituieren sich höchstens selbst, um ihre Sucht zu finanzieren. Kokser dagegen sind aufgeputscht und gierig, du ziehst das Zeug und kannst nicht genug bekommen.
Mit Heroin ist das anders. Das spritzt du nach, weil es dir sonst vor Schmerzen fast den Körper zerreißt. Kokser wollen Rausch und Macht, H-Junkies ihre Ruhe.
Kokser sind ein ganz anderer Schlag Mensch, nicht mein Schlag. Schon lange nicht mehr.
Beckermann war ein schlimmer Kokser, aber das habe ich zuerst nicht bemerkt. Der zog das Zeug jeden Tag, und wie Phillip mir später erzählte, fragte er sogar den Jungen ständig, ob er noch Reste vom „Schnee“ an den Nasenflügeln hängen habe. Weil der Stoff weiß ist, nennen viele ihn Schnee. Aber das wusste der Junge mit seinen elf Jahren damals Gott sei Dank noch nicht. Er dachte, Beckermann habe Rotz gemeint.
Beckermann war ein verdammt guter Schauspieler. Er kann Leuten unfassbar gut etwas vormachen, den vertrauenswürdigen Saubermann spielen, Menschen für sich einnehmen, um sie auszunehmen. So fing das ja auch mit uns an.
Eigentlich war ich mit Dragan zusammen, einem total süßen, unheimlich charmanten Serben. Er war vielleicht Mitte 30, also damals mehr als zehn Jahre jünger als ich – so, wie alle meine Männer jünger waren als ich. Bis auf Panagiotis. Wie er war Dragan Balkanese, ich mag das ja sehr gern. Wir hatten uns im Sommer 2007 in einem Café an der Oranienstraße kennengelernt, und er war der erste Mann seit mehr als zehn Jahren, mit dem ich ausging.
Bis dahin hatte es neben meinem Sohn keinen Platz für einen anderen Mann in meinem Leben gegeben. Nun war der Junge aus dem Gröbsten raus, und ich hatte nach so langer Zeit einfach mal wieder Lust auf eine Liebelei. Es war eine sehr schöne Romanze, sodass wir uns unseren Freunden vorstellten. Und zu Dragans Freundeskreis gehörte Beckermann, ein schmächtiger, dunkelblonder Typ in seinem Alter.
Nachdem Beckermann von uns wusste, meldete sich Dragan plötzlich immer seltener bei mir, während Beckermann mich andauernd treffen wollte. Damals dachte ich, Dragan habe das Interesse verloren, und heulte mich auch noch bei Beckermann aus, der bis dahin nicht mehr als ein Kumpel war. Erst später, als ich wusste, wer Beckermann wirklich war, wurde mir klar, dass der junge Serbe wohl keine Wahl hatte. Beckermann hatte Dragan den Rückzug angeraten – angeblich in meinem Sinne. Dragan sei ein kleiner Gauner und täte mir nicht gut, behauptete er. In Wirklichkeit hat er ihm wohl deutlich gemacht, dass er die Finger von mir lassen solle, weil es sonst Ärger geben würde.
Und mit Beckermanns Familie will man keinen Ärger. Wenn der Sohn des Drogenpaten sagt: „Zisch ab!“, dann haust du ab, und zwar so schnell und so weit wie möglich.
Das war mir damals eben alles noch nicht klar. Ehrlich gesagt, ist mir noch heute einiges völlig schleierhaft an diesem Mann. Er gab andauernd vor, jemand zu sein, der er nicht war, oder er übertrieb ins Maßlose: Einmal fälschte er, um mich zu beeindrucken, sogar einen Spiegel-Online-Artikel. Er hatte mir zwei DIN-A4-Seiten mit dem Logo der
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