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Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Titel: Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane V. Felscherinow , Sonja Vukovic
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gehalten.
    Nun war ich Mutter, clean, und ich wollte mich über gute Schulen erkundigen sowie vor Ort herausfinden, was man tun muss, wenn man dort leben will. Wir wollen uns hier niederlassen – wie bitte geht das?
    Eine Sozialversicherungsnummer braucht man, hat man uns beim Meldeamt erklärt. Den Rest haben wir über das Internet in der städtischen Bibliothek herausgefunden. Zum Beispiel, dass wir Phillip erst in Deutschland von der Schule abmelden mussten, ehe wir eine Sozialversicherungsnummer beantragen konnten. Das habe ich dann, als ich nach vier Tagen wieder zurück in Berlin war, auch direkt getan.
    Aber seine Lehrer waren da schon gar nicht gut auf mich zu sprechen, weil ich Phillip bei meiner Mutter gelassen, der Junge aber seine Schulmappe bei mir zu Hause vergessen hatte. sodass er eine ganze Woche Unterricht ohne seine Blöcke und Stifte durchstehen musste. Das gab Ärger – auch für mich.
    Den Familienhelfer weihte ich in unsere Holland-Pläne ein. Das war nicht einmal eine Woche, bevor sie mir meinen Jungen wegnahmen. Thorsten sagte da schon: „Oh je, da bekomme ich aber Bauchweh.“ Vielleicht hätte er die nicht bekommen, wenn Beckermann nicht bei uns gewesen wäre, ich weiß es nicht. Ich wusste nur, wie oft ich mich schon in fremden Ländern zurechtgefunden hatte, und es war mir einfach nicht klar, wie man beim Jugendamt auf meine Pläne reagieren würde.
    Es war also alles vorbereitet. Beckermann hatte auf Phillip aufgepasst, als ich zum Arzt gefahren war. Beim Einkauf auf dem Rückweg stand ich gerade an der Kasse und balancierte einen instabilen Pappkarton, der bis oben hin mit Lebensmitteln beladen war, als das Telefon klingelte. Ich klemmte es mir zwischen Ohr und Schulter, Beckermanns Stimme klang panisch und schrill.
    „Sag das bitte noch einmal, was ist passiert?“, fragte ich zweimal nach. Dann ließ ich vor Schreck meinen ganzen Einkauf fallen.
    Ich erinnere mich nicht mehr, was genau in den folgenden zwei Stunden passierte. Ich habe nur noch Beckermanns Worte im Kopf: „Christiane, komm schnell nach Hause, die haben den Jungen geholt.“
    Aber ich bin nicht nach Hause, sondern mit der S25 nach Teltow Stadt und gleich am Bahnhof zum Taxistand, in der Hoffnung, Klaus anzutreffen. Gott sei Dank war er da. Ich sprang in sein Taxi und schrie: „Fahr los! Zum Jugendamt Potsdam-Mittelmark, schnell!“
    Unterwegs erklärte ich Klaus meine Notlage. Beim Jugendamt angekommen sprang ich raus und bat ihn: „Wenn der Junge kommt, mach bitte sofort die Tür zu.“
    Dann bin ich rein, die Treppen hoch, ich fand Phillip weinend im Warteraum. Mindestens zwei Stunden hatte man ihn hier schon abgestellt, außer zwei Sekretärinnen war niemand da. Denen sagte ich: „Entschuldigung, ich möchte mich nur von meinem Sohn verabschieden.“
    Ich nahm Phillip in den Arm und flüsterte ihm ins Ohr: „So, jetzt lauf die Treppen runter. Gleich links steht ein Taxi. Lauf so schnell du kannst und spring da rein. Ich komm gleich hinterher.“
    Ich wollte dem Jungen den Rücken frei halten, falls uns jemand folgen würde, hätte ich den zur Not umgestoßen. Als ich sah, dass der Kleine das Taxi erreicht hat, bin ich hinterher. Es nahm aber niemand vom Jugendamt von unserer Aktion Notiz. Und solche Leute wollen mir mein Kind wegnehmen!
    Der Frau, bei der ich mich dann versteckte, sollte man eher das Kind wegnehmen. Ich kannte sie von der Szene. Ihr Sohn machte noch mit neun Jahren ins Bett. Er klaute und war aggressiv, sicher eine Folge davon, dass er so schlimm missbraucht worden war. Von einer Gruppe Männer, die „offiziell“ ihre Freier waren. Sie finanzierte ihre Sucht noch mit Mitte 40 durch Prostitution, aber nicht so, wie man sich das bei gewöhnlichen Nutten vorstellt.
    Detlef und ich hatten damals als Kinder auch bei unseren Freiern übernachtet und gelebt, bei ihr war es andersrum: Die Typen zogen temporär bei ihr ein. Gegen gutes Geld, versteht sich. Davon kaufte sie ihr Dope und eine Menge Skulpturen und Hokuspokus-Kram aus Afrika. Sie war ein Afro-Fan und trug auch immer diese geflochtenen Haarteile, die ich für völlig unhygienisch halte, weil man sie nicht richtig waschen kann.
    Damals in meiner Notlage war sie aber die Einzige, der ich trauen konnte. Bei den anderen wusste man nie, wer mit der Presse sprach, um sich etwas dazuzuverdienen, oder wer den Bullen etwas verriet, um eine Strafmilderung zu bekommen.
    Sie war noch nie im Gefängnis und auch noch nie bei einem Substitutionsarzt.

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