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Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Titel: Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane V. Felscherinow , Sonja Vukovic
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hinüber, ich bräuchte im Prinzip eine neue, aber welcher Arzt setzt schon eine Ex-Junkie und Substi auf eine Transplantationsliste? Über all das versuche ich nicht nachzudenken, solange mich die Schmerzen nicht dazu zwingen. Ich versuche, einfach so weiterzumachen. Wie immer.
    Nachdem ich ein paar Mal aus meinem Bett gefallen bin, habe ich zum Schlafen nur noch eine Matratze auf dem Fußboden. Sie liegt vor dem Fernseher, gleich dahinter geht es raus zum Balkon. Selbst im Winter lasse ich die Tür dort meist auf – damit Leon raus kann, mein Chow-Chow, und weil ich zu Hause oft rauche und viel Frischluft zum Atmen und gegen das Schwitzen brauche. Kalt wird mir selten und wenn, dann drehe ich bei den Preisen heutzutage doch nicht die Heizung auf. Nein, ich kuschele mich einfach unter meine vielen Decken und ziehe mir etwas Warmes an. Ich kann sehr geizig sein, wenn es um Kosten geht, die man vermeiden kann. Im Winter stelle ich auch den Kühlschrank bei mir in der Wohnung aus und lagere meine paar Lebensmittel draußen auf dem Balkon. Was soll ich sagen? Ich bin in bitterlicher Armut aufgewachsen, ich schmeiße mein Geld nicht zum Fenster raus.
    Einen Kleiderschrank besitze ich nicht und auch sonst kaum Möbel. Das liegt aber nicht an den Kosten, sondern daran, dass ich schon sehr oft umgezogen bin, bestimmt zwölf oder fünfzehn Mal in meinem Leben. Dieses Auf- und Abbauen, Rauf- und Runterschleppen will ich mir nicht mehr antun, von Mal zu Mal habe ich mehr aussortiert. Womöglich muss ich bald auch wieder aus Teltow raus. Inzwischen wissen einfach zu viele Menschen, wo ich wohne, alle paar Monate wieder stehen Journalisten unangemeldet vor meiner Tür oder andere Leute, die ich einfach nicht zu Hause haben möchte. Wäre mir auch unangenehm, denn es ist oft total chaotisch in meiner Wohnung, alles liegt und fliegt rum, es gibt nun einmal keine Schubladen, auch keine Ordner oder so und erst recht keine Tupperware. Aber viele Teppichböden habe ich, damit das feine Parkett nicht zerkratzt. Und es ist mir wichtig, dass alles sauber ist. Ich putze regelmäßig und desinfiziere sogar. Das muss sein mit Hund. Ein großes Durcheinander ist okay, aber kein Dreck.
    Ein kleiner Nachttisch, eine Stehlampe, eine Brille aus der Drogerie, Tabak, Aschenbecher und vielleicht ein bisschen Tee – das meiste, was ich besitze, steht und liegt in greifbarer Nähe um meinen Schlafplatz, damit ich darankomme, wenn es mir wieder so richtig schlecht geht. Das Bad ist nicht weit entfernt, nur knapp vier Meter, denn es gibt keinen Flur. Links von meiner Liegewiese ist die offene Küche mit zwei Stühlen und einem Tisch. Und viele, viele Bücher.
    Zwei mal zwei Meter Schrankwand füllt mein Sortiment an Tierdokumentationen, Kochbüchern und Belletristik wie „Der Teufel trägt Prada“. Am liebsten lese ich Biografien, egal, ob es Romane sind wie Carlos Ruiz Zafóns „Schatten des Windes“ und „Die Apothekerin“ von Ingrid Noll oder aber echte wie „Dschungelkind“, „Feuchtgebiete“ oder „Weiße Massai“. Bücher wie meins eben, Lebensgeschichten, die irgendeinen Bezug zu mir haben. Lesen macht doch am meisten Spaß, wenn man sich in den Geschichten wiedererkennt und etwas für sich daraus ziehen kann. Siba Shakibs „Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen“ zum Beispiel. Ich habe Rotz und Wasser geheult, als ich das Buch las. Aber es hat mir auch Hoffnung gemacht. Es ist eine wahre Geschichte, und wenn diese junge Frau stark sein konnte, dann kann ich das auch.
    Es geht um das Schicksal der jungen Afghanin Shirin-Gol. Ihr Name bedeutet süße Blume, doch ihr Alltag ist hässlich und bitter. Ihre Familie lebt in fürchterlicher Armut, und wie viele Männer am Hindukusch ist auch ihr Bruder spielsüchtig. Als er bei einem Freund seine Spielschulden nicht bezahlen kann, begleicht er sie einfach mit seiner Schwester. Shirin-Gol ist der Mann auch gar nicht unsympathisch, aber dann kommt der nächste Schlag: Nach einem Arbeitsunfall wird der Typ opiatabhängig, und Shirin muss sich prostituieren, um die Familie zu ernähren. Krieg, Hunger, Armut, Unterdrückung, das ist das Einzige, was sie kennt. Und sie ist immer nur auf der Flucht – vor russischen Soldaten, Pakistanern und den Taliban. Sie wird auch vergewaltigt, was in Afghanistan wohl vielen Frauen passiert. Das muss man sich einmal vorstellen: Da kommen die westlichen Truppen ins Land, angeblich, um das Volk von Diktatur und Terrorismus zu befreien, und dann

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